Dienstag, 31. August 2010

Wordle erkennt Magda

Frisch gelöscht beim "Freitag", auf Wunsch einer Userein, die mich schon mal als "vorhumanoide Lebensform" bezeichnet. In der Druckansicht ist der Text noch sichtbar:

Angeregt von Streifzug habe ich auch begonnen, Wordle-Wolken zu erstellen und bin begeistert. Hier die grafische Darstellung von Magdas "Hauptmann-Loeper"-Eintrag:

(Bild von http://home.arcor.de/hans9/grafik/magda2.jpg)

Man(n) erkennt die typische Antisemitismus-Keule mit der Emanzipation als Handgriff, Frau passt sich ein. Die Frauen nicht, denn die haben nur soweit mit dem Konstrukt zu tun, wie sie als Mutterkreuz-Trägerin oder Blitzmädel auch durchaus mal antisemitisch sein konnten ...

Freitag, 7. Mai 2010

Theoriebruchstück über literarisches Trollen

Trolle sind sind ja nicht nur ungebetene Gäste im sweet home des Hochdruckpoeten, hier sind sie eher reguläre Mitspieler, die das Rating/die Quote des Produkts nach oben treiben. Der freundliche Herr Herbst hat seine Wohnung (zumindest seine "Arbeitswohnung") zum öffentlichen Raum gemacht und da geht es nun genretypisch gewöhnungsbedürftig zu. Das ist nicht "alles nichts", sondern durchaus etwas, sonst würde ich es ja nicht aufmerksam lesen. Solch eine Situation erlebe ich jetzt auch im "wahren Leben", in einer "Maßnahme" der "ARGE", in der 20 hyperaktive "Störer" täglich in einen Raum gesperrt werden. Da schreien wir uns nun an und beleidigen uns borderline-mäßig, um im nächsten Moment ganz kleinteilig z. B. über Online-Angebote von Kabel-TV-Anbietern zu diskutieren. Wichtigstes Requisit sind Kopfhörer und die entsprechenden Abspielgeräte, mit denen sich der Einzelne ganz nach Bedarf aus der Groteske ausklinken kann. Online sind es Schreibverzicht und Löschungen, die dieses warenförmige Krimskrams aushaltbar machen. Heute zum Feierabend war unser harmonisch-spaßgesellschaftliches Fazit: Wir brauchen bessere Kopfhörer! (Antwort auf ein Posting von begleitschreiben)

Mittwoch, 14. April 2010

PET ist reif

Neulich wurde im Lux-Kino „Plastic Planet“ von Werner Boote gezeigt, dem österreichischen Michael-Moore-Ersatz. Im Saal saß alles, was in der örtlichen Müsliszene Rang und Namen hat. Danach Diskussion, erst im großen, dann in kleinen Kreisen: Spätere Archäologen würden von einer Plastikzeit sprechen. Was, wenn es denn geschähe, eine unzulässige Vereinfachung wäre. Denn es sei nicht ein Stoff, sondern eine unüberschaubare Vielfalt von Grundstoffen, Füllstoffen und Weichmachern - außer einigen Grundbestandteilen sämtlich patentiert und/oder geheim. Die EU-Chemikalienverordnung REACH bräuchte jetzt dringend einen Schub und da käme der Film zur richtigen Zeit. Dänemark habe gerade Bisphenol A teilweise verboten und aus diesen PET-Flaschen trinke er (mein Gesprächspartner) seit voriger Woche auch nicht mehr. Wieso denn das denn? Ob ich die Skandalmeldung in der Tagesschau nicht gesehen hätte? Eine Studie der Universität Frankfurt hätte nachgewiesen, dass Plastikflaschen aus Polyethylen-Terephthalat (PET) hormonähnliche Substanzen in Größenordnungen an ihren Inhalt abgeben würden. Die brächten so etwas einmal und wer sich dann nicht selbst informiere, bliebe unwissend. Auch ich trage meist eine kleine Flasche mit Wasser bei mir, Leitungswasser, das ja Trinkwasser-Qualität haben soll. Im Prinzip richtig, nur sollte ich die „Rohrperle“ nicht in PET-Flaschen füllen, bei Strafe von Fettleibigkeit, Impotenz und Kreislaufschwäche. Ach so?

Am nächsten Tag informiere ich mich: die Tagesschaumeldung gibt es, auch den Originalartikel aus der Frankfurter Universität. Das sind tatsächlich ausgewachsene Umweltforscher, die nach Standardmethoden arbeiten, fleißig Embryonen der Neuseeländischen Zwergdeckelschnecke (Potamopyrgus antipodarum) zählten und statistisch auswerteten. Die Ergebnisse waren eindeutig. Und einige TetraPak-Arten gaben sogar noch mehr Östrogen-artige Substanzen als PET-Flaschen ab. Die Halbwertzeit der Stoffe ist zwar gering, durch die Allgegenwart der PET-Behältnisse wird jedoch immer eine wirksame Konzentration im Körper des "Hormon-Spiegeltrinkers" aufrecht erhalten. Einen Tag später trage ich eine Glasflasche „Natürliches Mineralwasser“ mit mir herum. Mein Gesprächspartner findet es wieder „im Prinzip richtig“, nur mit Plastikverschluss sei auch das natürlichste Wasser in der schönsten Glasflasche immer noch belastet. Er weist seine Drahtbügel-Bierflasche vor, gefüllt mit Leitungswasser.

Pulle

Einen Veranstaltungstipp hat er auch noch: das Bundesinstitut für Risikobewertung führe nächste Woche eine Tagung zu hormonähnlichen Substanzen durch und er hätte sich auch schon angemeldet. Das Thema PET sei „reif“: Heerscharen von Müsli-Ideologen bräuchten ein neues Thema, nachdem es mit dem Klimawandel nun doch nicht schnell genug ginge. Er vermute ja, dass das Thema zuerst in der Zeitung mit den vier Großbuchstaben auftauchen würde. Die Madsäcke und DuMonts bügelten eh alles Kritische ab und die Linkstöner-Postillen reproduzierten immer nur ihr eigenes ermüdendes Filzrascheln. Ich schließe mich seiner Spekulation an und wir wetten um einen Kasten Drahtbügelflaschen, ob die große PET-Flaschen-Panik schon Ende April oder doch erst Mitte Mai ausbricht.

Samstag, 6. Februar 2010

Ossiland ist abgebrannt

Tussiherrschaft

Der Hörspielfreund hat wieder einmal zu später Stunde vor den Lautsprechern gehockt, denn beim WDR gibt es eine Reihe mit dem denglischen Titel „open: WortLaut“, die neuere Literatur vorstellt. Und letztere kann natürlich nur von Jungen AutorInnen bis 25 Jahren kommen. Der schon etwas bejahrte Prenzelberger Autor A. N. H. darf dort öfter mal eine(n) Vorzeige-Jungendliche(n) vorstellen. Jüngst warb er in seinem Blog für eine Sendung: „Im land da wo wir blutrot sind“. Eine Zusammenstellung von Gedichten und Geschichten der ostdeutschen Autorin Daniela Danz würde den geneigten Leser erwarten. Die Dichterin residiere in Halle an der Saale, wo der Osten noch blutrot sei, animalisch und brühwarm mit Körperflüssigkeiten herumsplattere. Auf WDR 3 durfte ich es dann nach 23.00 Uhr hören: zum Einstieg Dichterinnengestammel, schlecht Aufgesagtes, umrahmt von sentimentalen Akkordeonklängen. Jaja, der ostische Mensch, eine tiefe Seele hat er! 1989 war die Danz 13 Jahre alt, wurde trotzdem in eine tiefe, sieben Jahre andauernde Krise gestürzt. Jetzt denkt sie über den Osten an sich nach: "Man hört die Regenvögel schlagen. Es sind tiefe traurige Vögel, die schon vor Jahren ihren Ort verloren haben; man sieht sie nie, man hört sie nur", trägt die Dichterin vor. Haben die Tierchen in der Mitte eine Vertiefung? Die gefiederten Sänger haben also "schon vor Jahren ihren Ort verloren" und im Fundbüro ist er auch nicht abgegeben worden?

Interessant auch, was Autor H. in seinem Blog über die Entstehung der Sendung schreibt: über diese gebührenfinanzierte Altersdiskriminierung herrscht in Köln die Redakteurin I. W., anscheinend eine grausame Tussi, die sich nur nebelhaft über ihre Erwartungen an das Hörstück äußert. Autor H. lädt die Dichterin D. ein, lässt sie und einige Schauspieler lesen und schneidet alles mit dem kostenlosen Programm Audacity, brennt es auf CD und schickt es der Redakteurin. Die hört es und äußert sich unzufrieden. H. übt zerknirscht Selbstkritik und schneidet alles noch einmal. Gestern Abend war es zu hören: zwischen gefühlten zwei Stunden Akkordeongewimmer geht es ums Arabische Meer, Euphrat, Tigris, Bosporus, Donau, Moldau, Elbe, Saale, Unstrut und Helme. Reichlich namedropping antikisierenden Bildungsgutes, dazu rauscht ständig das Meer wie eine kaputte Klospülung. Dichterin D. verbreitet Urlaubsstimmung und der Akkordeonspieler wird auch immer melancholischer: der ostische Mensch arbeitet sich an Europa ab - dabei hat er seinen letzten Beitrag zum Geschäftserfolg der Marke Europa geleistet, als Jason und Co. das räudige Widderfell aus Kolchis weggeschleppt haben. Ostdeutsche Wirklichkeit erreicht die öffentlich-rechtlich-zwangsfinanzierten Medien anscheinend nur noch über eine dreifache Filterung: grausame Obertussi im Westen, prekarisierter Billigproduzent auf dem Schicki-Micky-Prenzelberg und gecastetes Naivchen aus den Urwäldern Thüringens.

Sieben Stunden später sitze ich wirklich in Halle an der Saale, in einer Maßnahme der „ARGE SGB II GmbH“. Im Arbeitsraum hocken mit mir noch weitere 19 „Müllmenschen“, erstellen eine „Müllfibel“, die ferkelige Ossis zum ordentlichen Mülltrennen animieren soll. Zitat eines Teilnehmers: „Produzieren dürfen wir nichts, aber mit unserem Kot spielen.“ Soziologen schreiben längst vom abgehängten Prekariat, vom Übergang der Neid- zur Wutgesellschaft. In zwei Nachbargebäuden sind die Büros der örtlichen ARGE untergebracht. Dort arbeiten anscheinend mehrheitlich noch relativ junge Frauen, die sich ganz schrecklich nett und einfühlsam geben. Aber heute streiken die Tussis von der ARGE, schreien für 5 % mehr Entgelt auf dem Riebeckplatz herum und verteilen bereitwillig Einspruchsformulare an „ihre Hartzer“. Im Nebenraum bastelt indes die Arbeitsgruppe „Deutsche Einheit“ Minenfelder und Selbstschussanlagen aus Sperrholz. Ihre Wandzeitungen rühmen Genscher und Kohl: „Lieber Dr. Helmut Kohl, habe Dank und lebe wohl!“, dichtet ein Russlanddeutscher, anscheinend eine besonders tiefe Seele. So siehts nämlich aus im Osten, Mr. Jason!

Mittwoch, 16. September 2009

Unterwegs von Hartzland nach Billiglohnland

“Unterwegs von Deutschland nach Deutschland” steht auf dem grauen Minivan, der am Mittwoch Abend vor dem "Volkspark" in Halle/S. parkte. Damit tourt Günter Grass als SPD-Wahlkampfhelfer durch die Hartz-geschädigte Republik. In Halle dabei waren noch der Dresdner Vorort-Lyriker Thomas Rosenlöcher sowie der örtliche SPD-Direktkandidat Johannes Krause. Grass und Rosenlöcher lasen beide aus ihren Wende-Tagebüchern, da konnten sie Authentisches von sich geben und hatten auch zweifellos Recht.
Dann Wahlparolen auf Stammtisch-Niveau: Grass meinte, die Mindestlohn-Forderungen der Linkspartei seien populistisch und überhaupt hätte diese Partei immer noch ihre alleinige Schuld an den DDR-Verhältnissen abzutragen. Wer hat denn den bundesdeutschen Billiglohn-Sektor erfunden, möchte man fragen, aber fragen durfte nur Johannes Krause - in seiner Funktion als Direktkandidat, Funktionär von DGB und IG Chemie, Aufsichtsrats-Mitglied der Stadtwerke, der EVH, der HAVAG, der ARGE SGB II Halle GmbH, als 1. Sprecher der Initiative Zivilcourage, Synodale der ev. Kirchenprovinz usw. Diesem Multifunktionär noch mehr Gefolgschaft zu organisieren, haben sich die beiden Dichter nun zur Aufgabe gemacht. Rosenlöcher berichtete von seinem letztlich vergeblichen Kampf gegen die Waldschlösschen-Brücke. Und wie Goethe nach Italien, floh Rosenlöcher in die Türkei. Umständlich beschreibt er die Warterei auf das Flugzeug, aber dann am Strand auf dem "Teutonengrill" kam ihm die Erleuchtung: eine selbstbewußtere SPD muss her und deshalb kämpft er jetzt Wahl! Das ist das Stichwort für Grass, der die FDP neoliberal findet. Hartz-Vollstrecker Krause pflichtet ihm wortreich bei. Nicht nur ich finde das unbefriedigend, ein kleiner Junge auf dem Schoß seiner Mutti will endlich mitreden: "Und dann hat der Kasper gesagt, jetzt trinken wir was..."
"Ein älterer, aber leicht besoffener Herr" fällt mir ein, aber Tucholskys Wahlversammlungs-Bummler bräuchte heute so viel Alkohol, dass er nicht lange durchhalten würde. Grass schwärmte noch von Willy Brand, bei dessen Kniefall in Warschau er dabei sein durfte, Genscher findet er gut, Ulla Schmidt bewundert er und Schröder hätte uns vor der Verstrickung in den Irakkrieg bewahrt. Überhaupt scheint der alte Kamerad immer noch das Prinzip von Führer und Gefolgschaft hoch zu halten. Was jetzt keine Faschismus-Anspielung sein soll, eher eine Reminiszenz an US-Präsident Wilson und seinen Pferdeflüsterer Lippmann, die die "gelenkte Demokratie" nach Brest-Litowsk im gesamten Westen als alleiniges Herrschaftsprinzip durchgesetzt hatten. Grass las noch ein sentimentales Gedicht über Danzig, in dem organisierte Vertriebene keine Chance gegen lautgemalte Ostseewellen haben.
"Aber so ganz ohne Sozialdemokraten fehlt auch was", sagte ein Zufallsbekannter zu mir, das sähe man ja in Sachsen. Wobei es mittlerweile vier sozialdemokratische Parteien gebe, meinte ich, SPD, Linke, Grüne und Piraten. Die vereinigt würden vielleicht etwas ergeben, was man man wieder als Sozialdemokratie bezeichnen könnte.
"Das geht aber nicht mit solchen Jungs wie Krause!" Da konnte ich nur zustimmen, Krause muss weg!

Sonntag, 5. Juli 2009

K. L. A. v. Münchhausen an J. G. Seume

Was treibt den Mann von Geisteskraft und Gaben
Dass er, gleich einem wilden raschen Knaben
Zu fremdem Heerde taumelnd eilt?

Wer drängt dich aus der Weisheit stillen Klause?
Wer jagt dich mit der Unruh Sturmgebrause
Wie Kain über Meer und Land?
Sprich: treibt bey dem Geräusch zerrißner Fahnen
Von dem Huronenland bis zu den Kamschatanen
Dich Weisheit oder Gottes Hand?

Ich kenne dich, seit längst verfloß’nen Jahren,
Da du mit mir die Fingalskluft umfahren;

Selbst deine Lieblingsträumerey,
Von Karavanen und von Pilgerreisen,
Von fremden Völkern und von Weltumkreisen
Und was wohl unterm Pole sey.

Ich kenne dich in deiner Freunde Kreise;
Ich kenne dich in deiner selt’nen Weise
In der du Menschenprüfer bist.
Ich kenne den Verwüster deines Glückes
Und weiß den Urquell deines finstern Blickes
Und – was dir Heilungsbalsam ist.

Ein Amt, der leeren Stunden Raum zu füllen;
Ein Weib, aus Fluren geßnerscher Idyllen,
Dazu ein frohes Tuskulum,
Das formte dich von Karmels ewigem Hebräer
Zum besten freundlichsten Epikuräer,
Zu Wandsbecks heiterm Asmus um.

Und sollte denn von allen diesen Gaben
Mein teutsches Vaterland nicht eine haben,
Daß du in seinen Grenzen bliebst?

Die Schuld ist dein; du willst in unsern Gauen
Dir keinen Kohl zum kleinen Mahle bauen,
Weil du das Sonderbare liebst.

Beklagenswürdig Freund, sind die Tymone
Bey jedem Volk und unter jeder Zone;
Bey ihnen wohnt die Freude nie.
Sie sind vor jedem Menschenantlitz bange;
Sind ew’ger Mißlaut in dem Sphärenklange
Von unsers Schöpfers Harmonie.

Hier wäge: Vater seyn von frommen Kindern,
Ein Tröster, der bedrängten Gram zu lindern;
Ein Freund der ächten Menschenpflicht:
Und nun, ein Mann von finsteren Gesichtern
Der, gleich den alten grauen Höllenrichtern
Den Menschen nur ihr Urtheil spricht!

Laß uns mit Ruh und unverbundnen Augen
Nicht Gift, nur Honig aus den Blumen saugen
Die unsers Schöpfers Garten zeugt.
Man muß nicht einer ganzen Flur mißtrauen,
Wenn hier und dort in seegensreichen Auen
Durch Blumen eine Schlange schleicht.

O Sohn des Unmuths komm in meine Arme!
Dein Busenfreund giebt Lindrung deinem Harme,
Der dir am wunden Herzen frißt.
O, starre nicht mit schaurigem Gefühle
Voll Schwermuth in der Elster Wellenspiele,
Wo, wie du wähnst, kein Glück dich küßt.

Die Ruh ist Glück und Balsam unsers Lebens;
Der größte Weise suchet sie vergebens
Bis er sein Sanssouci bezieht.
Denn sieh! was schuf in jenen Schneegefilden
Die edle Größe unsers wackern Wilden?
Die Ruh, die seine Stirn verrieth.

Wohlan! wenn du die Forscherbahn geendet
Und deinen Sarazenenzug vollendet,
Dann kehre heim ins Vaterland,
Und knüpfe, vor Beginn der grauen Haare,
Zu deinem Glück, an Gottes Weihaltare
Ein süßes ewigliches Band.

Sey dann mein Nachbar in dem Weserthale
Und trink mit mir aus einer Muschelschale
Und iß mit mir von einem Brod.
Dann wird der Schatten eines Baums uns decken,
Und ein Gesang der Nachtigall uns wecken,
Im goldgestreiften Morgenroth.

Denn schleichst mit Geßnern du zum Schäferpfürche
Und fährst mit Goeking in die Harzgebürge,
Mit Klopstok auf der Sternenbahn;
Mit Schillern tönest du das Lied der Freude,
Und wallst in grauer Helden Nebelkleide
Umher mit Vater Ossian.

Und ziehn wir nun, umhallt vom lauten Hifte
Des Jagdhorns, durch die grauen Felsenklüfte
Mit dem bereiften Doggenschwarm;
So werden wir in unsrer stillen Klause,
Des Abends, bey dem kleinen Wildprettschmause
Im Kreis der Freundschaft wieder warm.

Doch, wirst du einst, in meiner Väter Gründen,
Dein harrend, deinen Freund nicht wieder finden;
So ist vollbracht sein kleiner Lauf:
Dann suche deines Busenfreundes Hügel
Und richte mir, als unsers Bundes Siegel,
Den nächsten Stein zum Denkmal auf.

Münchhausen.

Samstag, 14. März 2009

Dunkel-Haftnotizen

Im Vorverkauf gibt es natürlich keine Abendkarten für die Buchmesse und damit auch keine freie Fahrt mit der S-Bahn. Also fahre ich mit dem Auto, höre im Radio sonore Stimmen, die von einem Amoklauf schwadronieren. Nach einer Weile Zuhören bekomme ich geradezu Sypathie mit dem Täter, möchte ihm zurufen: "Töte sie alle, Gott wird sie sortieren!" Doch der Täter ist auch schon tot, er starb auf der Titelseite von "Bild". Ich parke im "Sachsenpark", wo die Sachsen parken, gehe ein paar Meter in die Glashallen zu Fuß. Gleich am Eingang Fernsehdisskussion live, sonore Herrenstimmen fragen sich, was sie falsch gemacht haben bei der Erziehung "unserer Jugend". Eure Verlagsprogramme sind zu schlecht, möchte ich ihnen antworten. All diese "Schnelldreher", hirnrissige Krimis, phantasielose Weltraumgemetzel... Und wer schreibt eigentlich all diese Fantasy mit den immer gleichen Schwert schwingenden Flachzangen, Hexen, Elfen, Zwergen, Zombies, Vampiren? Ohne Autoren-Software geht da gar nichts mehr und möglicherweise hat längst ein perverser Supercomputer die komplette Textproduktion für Bertelsmann, Heyne und Co. übernommen?
Die Leute vom A.M.O.K.-Verlag Traunstein sitzen wie Aussätzige herum, während im Berliner Bibelmobil reger Andrang herrscht. Beim Mitteldeutschen Verlag wartet alles auf den Sachsen-Anhaltinischen Ministerpräsidenten Böhmer, dessen Redenschreiber ihre Ergüsse in einem vom Land finanzierten Halbleinen-Band veröffentlicht haben. Die Stände der kleinen Verlage laden zum Schmökern ein, bei Dielmann lese ich in Herbsts Meeren. Eine wirklich lästige Journalistin bettelt die nette Standbetreuerin um "Rezensionsexemplare" an, die sie auch bekommt. A. N. Herbsts Blog Dschungel-Anderswelt lese ich ziemlich regelmäßig, obwohl der eher zu dieser angestrengten altbundesrepublikanischen "2001-Literatur" gehört. Manchmal trolle ich dort auch, mit Gründen.
Und bei der Aufzeichnung der 3sat-Diskussion "Schirmherrschaft-Bildschirmmenschen" laufe ich zufällig durchs Bild. Wirklich zufällig, als es um jugendliche Selbstdarstellerei geht. Die Diskutanten streiten, ob man die Jugend nur noch abhärten müsse - also jede Splatterei schon im Kleinkinderprogamm zeigen könnte - oder ob es doch noch ein paar Qualitätskriterien und soziale Einflüsse geben sollte. Warum ist das alles so dumm? Das frage ich mich ganz verzweifelt und verbringe den Rest des Nachmittags im Anime-Kino. Wobei mich die Gemetzel auf der Leinwand eher weniger interessieren. Mehr die hübschen Cosplayerinnen, die sich ziemlich ungehemmt in der Kissenlandschaft wälzen. Die Messeleitung schickt uns per Lautsprecher-Durchsage nach Hause. Schade eigentlich, mein Spannertum hat gerade japanische Größenordnungen erreicht. In der Haupthalle wirbt der MDR in Gestalt eines älteren Herren mit Lautsprecherstimme für eine abendliche Lesung mit dem Sprach-Beckmesser Sick. "So ein bullshit!" sage ich zu dem greisen Plapperer, der mich verdutzt anschaut. "Sprachheilkundler Bastian Sick live in der ARD-Radionacht der Hörbücher" - da muss man sich schon sehr zusammen nehmen, um nicht von Gewaltphantasien befallen zu werden.

Sicherungskopie 7

15-jan-09

Nach dem traditionellen chinesischen Mondkalender endet am 26. Januar das Jahr der Ratte und pünktlich um Mitternacht des 27. beginnt das Jahr des Büffels. Für mich ist hier alles erledigt, am Sonntag reise ich ab. Die Studenten sind schon fort, machen sich wohl beim Reinigen des elterlichen Eigenheims mit Bambuszweigen nützlich, dekorieren Wände und Lampen mit roten und goldfarbenen Spruchbändern. Während der eigentlichen Neujahrstage darf nicht geputzt werden, um das neue Glück nicht gleich wieder hinaus zu kehren. Man verekelt allerlei Dömonen, opfert dem Küchengott und am letzten Tag des alten Jahres trifft sich die ganze Familie zum Essen, lässt die Ahnen hoch leben. Kleine Geschenke werden ausgetauscht, besonders beliebt sind rote Geldbriefchen. Mandarinen in gerader Zahl bringen Glück. Gegen 23.00 Uhr werden schon mal die Fenster geöffnet, um das neue Jahr herein zu lassen. Tonnenweise Feuer- und Räucherwerk werden abgebrannt. Die Feierlichkeiten enden erst am 15. Tag des neuen Mondmonats mit dem Laternenfest. Wobei die ganze Zeit auch der Frühling thematisiert wird, es gibt blühende Zweige aus Stoff oder zahllosen Lämpchen. Und mit etwas Glück wird am 11. Februar der kurze chinesische Winter tatsächlich schon wieder vorbei sein...

kommentar 1 von ehc am 16-jan-09

um hilfes willen, hadie, was soll das heißen? du reist am sonntag ab? für immer, oder darf ich (dürfen wir) auf eine rückkehr hoffen? fragen über fragen, ich verlange eine antwort!

kommentar 2 von hadie am 16-jan-09

Lass Dich überraschen, jetzt werden erst einmal Bildungslücken geschlossen...

01-jan-09

Im günstigsten Fall schaut man zu Silvester gemeinsam auf den alten Kalender. Und der war für China wieder einmal ereignisreich genug: Unruhen in Tibet, Erdbeben, Olympia, Melamin und Finanzkrise. Und ich hatte in diesem Jahr überwiegend mit grandios optimistischen Menschen zu tun, habe noch mehr Achtung vor dem Lehrerberuf gewonnen und etwas über die Kräfte gelernt, die die Weltwirtschaft antreiben - oder auch nicht mehr. Das Jahr ist wie im Fluge vergangen und die Chinesen lassen es überhaupt nicht knallen. Ist ja auch nur das Wessi-Neujahr, gerade mal ein paar Jahrhunderte alt. Zum chinesischen Neujahr gibt es dann auch hier Feuerwerk. Guten Rutsch - auf ein Neues!

16-dez-08

In Nanjing werden zu wenig Katzen gegessen. Deshalb reisen die überschüssigen Mietzen täglich zu Tausenden in Kisten per Bahn z. B. nach Dongguan in der Provinz Guangdong. Danwei hat einen Artikel aus Southern Metropolis Daily übersetzt: die Nanjinger Streuner werden nachts von "Katzenfischern" gefangen und an Grosshändler verkauft. Da der lokale Nanjinger Ess- Katzenmarkt wenig aufnahmefähig ist, werden die Tiere landesweit verkauft. Tierärztlich beaufsichtigt landen die Katzen vor allem im wohlhabenden Südosten des Landes. In einer angesagten Canton- Gaststätte kostet z. B. ein Teller "Gedünstete Katze" 147 Yuan. Nun wird mir auch klar, warum man hier nur entweder junge zutrauliche oder alte sehr scheue Katzen sieht. Die Zutraulichen werden nicht alt und die Scheuen sind für den Nachwuchs zuständig.

12-dez-08

Immer wieder lerne ich neue Vokabeln, leider zu wenige chinesische. Diesmal ist es "trickledown", herunterrieseln. Wirtschaftlich gesehen meinen die Neoliberalen damit, dass bei wachsendem Reichtum der Besserverdienenden auch bei den unteren Bevölkerungsschichten etwas ankomme. Trickledown wurde unter Reagan propagiert, jetzt ist es wieder ein Thema, denn US-amerikanische Besserverdienende entlassen gerade massenhaft ihr Hauspersonal. Die New-York-Times vom 10.12.08 schätzt die Zahl der Entlassenen allein im Grossraum New York auf 200 000 Kindermädchen, Haushaltshilfen, Koeche und Gaertner u. a. Das Weib aber sprach: "Ja, Herr; doch essen die Hündlein von den Brosamen, die von ihrer Herren Tische fallen." (Matthäus 15.27) Geradezu biblischer Zorn mag einen da überkommen...

21-nov-08

Kommt ein dicker Ork in den "World-of-Warcraft"-Laden und kauft sich einen neuen Hörnerhelm. "Soll ich ihn einpacken?", fragt der Zwerg hinter dem Ladentisch. "Ach lassen sie mal, ich behalte ihn gleich auf", antwortet der Ork. "Wie zahlen sie die Mehrwertsteuer?" will nun der Zwerg wissen. Der Ork grunzt ratlos. "Also entweder sie zahlen 20 % vom Verkaufspreis in unseren virtuellen Goldstücken oder ihr realer Spieler zahlt 3 % in richtigem Geld", erklärt der Zwerg. Solche Szenen spielen sich derzeit überall in fernöstlichen Online-Welten ab, denn seit Mitte November verlangt das chinesische Finanzministerium Steuern auf Umsätze in virtuellen Währungen. Peking ist die erste Stadt, in der diese Steuern auch wirklich eingetrieben werden. Nachweispflichtig ist der Steuerzahler, bei unkooperativen Spielern wird geschätzt. Und es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis virtuelle Steuerberater, Finanzbeamte und Steuerfahner die Online-Welten unsicher machen. (Financial Times vom 04.11.08 und Ebigear News)

19-nov-08

WeDe Krüger beschäftigt sich heute in der ASML ausführlich mit Arno Schmidts angeblichen "Flunkereien" um die Englandreise 1938. Welche Farbe hatte der Dampfer 'Monte Pascoal'? Warum brauchten die Schmidts eine dreiviertel Stunde vom heutigen "Platz der Luftbrücke" bis zur Abfertigungshalle des Flughafens? Wo sind die Fotos, Ansichtskarten und Reiseandenken aus London? Gab es damals eine vierbändige Poe-Erstausgabe für etwa ein Pfund zu kaufen?
Dazu fällt mir nur der launige Spruch von Lutz Hagestedt (2002 in der FR) ein: "Die Arno-Schmidt-Forschung ist die Grüne Basis der Literaturwissenschaft, ohne Ahnung von aktuellen Moden und Methoden". Es ist doch völlig schnurz, ob die Schmidts 1938 nun real oder nur in ihrer Vorstellung in London waren. Ob sie sich in Tempelhof verlaufen haben, ob der Dampfer schwarz oder weiß gestrichen war usw. Dem Texter geht es um eine menschliche Schmälerung des Dichterpaars, um sich selbst zu erhöhen. Und er befindet sich damit in zahlreicher Gesellschaft: Seumefreunde in der sächsischen Provinz müssen jetzt auch erst einmal fünf Minuten den Großen Spaziergänger klein reden, bevor sie ihre bunten Bildchen zeigen. Und wenn man im Netz etwas über Sun Yat-Sen sucht, findet man zuerst eine Magisterarbeit, die diesen als aufschneiderischen und windigen Selbstdarsteller brandmarkt. Eine mögliche Erklärung wären "antideutsche" Karriere-Netzwerke im feuilletonistisch durchherrschten Literaturbetrieb als Verursacher dieser Abwertungsversuche. Heutiger deutscher Selbsthass wird auf den Dichter übertragen, eigentlich nur um zu sagen: "Er ist unser!" - Er ist es nicht, sie sind es nicht, werden es niemals sein!

17-nov-08

Nach 221 Tagen ist heute ein Luftpost-Brief aus Halle bei mir eingetroffen und ich überlege, ob ich sieben Monate Laufzeit normal finden soll? Na gut, der Brief ist handschriftlich und in einem nicht ganz einfachen Deutsch geschrieben. Ein alter Lehrer gab mir Mitte April Tipps für den Berufseinstieg. Jetzt steht mein Nachfolger schon in den Startlöchern. Er hat mehrere Jahre Erfahrung in der Arbeit mit schwierigen Jugendlichen. "Der wird euch schon die Hammelbeine lang ziehen!" wurde den Studenten anscheinend sinngemäß gesagt, denn sie erkundigen sich besorgt bei mir. Ich habe Herrn R. gefragt und kann alle beruhigen: er ist nicht streng.

09-nov-08

Oh Klassenkampf, du Donnerwort!
Im World China-Forum beschäftigt sich Wang Peng mit den "universellen Werten", die Chinas politische Köpfe seit geraumer Zeit beschäftigen. Gemeint sind weniger Demokratie, Freiheit, Konstitution und Menschenrechte, eher eine "harmonische Gesellschaft", die mittels administrativer Reformen erreicht werden soll. Im Lichte der marxistischen Klassenanalyse ringen hier zwei Klassen im Kapitalismus um die Deutungshohheit über den Begriff der "universellen Werte". Für die moderne Arbeiterschaft, das produktionsnahe Management und Teile der großstädtischen Intelligenz ist die Verwirklichung der politischen Konstitution ein hoher "universeller Wert", gipfelnd in einer fein ausbalancierten Gewaltenteilung zwischen drei (nach Sun Yat-sen sogar fünf) Säulen. Oligarchische und korporatistische Kapitalisten mögen es lieber ungezügelt und neoliberal, brauchen dazu den autoritären Staat gegenwärtigen Zuschnitts. Schon der Genosse Mao wusste, dass Klasseninteressen immer auch materielle Interessen sind. Und so finden sich auf Seiten der harmoniebedürftigen Korporatisten auch viele Stadtarme, dazu die alte Intelligenzija aus den Staatsbetrieben und großen Verwaltungen, bis hin zum Sicherheitsapparat. Die globale Finanzkrise schwächt beide Seiten. Soziale Verantwortung trauen alle eher dem überkommenen Staat zu. Beiträge zu zukunftsfähigen Strukturen sind, (wenn überhaupt) wohl nur von den neuen "zivilisierten Kapitalisten" zu erwarten.

Mittwoch, 5. November 2008

Sicherungskopie 6

5-nov-08

Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten. Mit Barack Obama hat ein community organizer aus Chicago die US-Wahlen gewonnen, ein ausgebildeter Sozialpädagoge, erfahren in der Arbeit mit Horden ignoranter und inkompetenter Fahnenschwenker an "sozialen Brennpunkten". Mit nationalistischen Eiferern, Konsumenten auf Pump und den ehrenamtlichen Evangelisten des unregulierten Marktes. Die haben für Obamas Wahlkampf gespendet und erwarten nun, dass ihr Sozialarbeiter doch bitte mal schnell den Scherbenhaufen seines Vorgängers zusammenkehrt. Gegen die Finanzkrise soll es ein massives Investitionsprogramm geben und ein paar Tropfen aus der großen Gießkanne werden wohl auch auf "grüne Jobs" fallen. Außenpolitisch wird die Regierung Obama zweifellos versuchen, das Imperium wieder zur globalen "Nummer Eins" zu machen. Der alte und neue Verteidigungsminister Robert Gates wird wohl den politischen Rückenwind nutzen und versuchen, die beiden vom Finanzkapital vom Zaun gebrochenen Kriege doch noch zu gewinnen. Sozialpolitische Wohltaten sind eher nicht zu erwarten, Millionen Billiglöhner haben weiterhin keine Aussicht auf eine Krankenversicherung, Arbeitslosigkeit bleibt persönliches Versagen, für das man sich gefälligst zu schämen hat. "The Change" ist kein Regime-Change und der "amerikanische Traum" bleibt ein Alptraum. Einziges Zeichen des Wandels ist die Hautfarbe des Präsidenten.

24-okt-08

"Immer konkreter werdende Signale für einen tiefen Wirtschaftsabschwung" hört heute die FTD Online. Ich höre Musik und Lautsprecher-Ansagen vom zweitägigen Sportfest des Colleges. Die Veranstaltungen sind eher locker organisiert, nur die Studenten dürfen jetzt tagsüber nicht das Campusgelände verlassen. Ich lasse mich kurz auf dem Sportplatz sehen und mit albernem Grinsen fotografieren, dann habe ich zwei Tage frei. Mit dem Linienbus fahre ich in die City und sehe, dass gerade östlich vom College mit dem Bau von zwei neuen Wohntürmen begonnen wird. Auch das Gründerzentrum daneben platzt aus allen Nähten und bekommt einen oder mehrere Anbauten. Am "World Trade Center" wird fleißig Beton gepumpt, die beiden markanten Türme haben wohl schon zehn Etagen erreicht. Wenn das Osama wüßte! Nur der Fernsehturm ist abgeschaltet, weil ringsum eine Shoppingmall und etliche Wohn-Hochhäuser errichtet werden. Der Turm soll die besondere Attraktion darin werden, im Prospekt sieht es aus wie das Vergnüngungsviertel aus 'Final Fantasy 7'. Keine Spur von Panikstimmung, nur das Warenangebot in den Kaufhäusern ist immer noch entweder völlig unattraktiv, sichtlich mangelhaft oder überteuert. Ich stehe nun mal nicht auf Plastikramsch, falsche Gucci-Täschchen oder echte Breitling-Uhren. So kaufe ich doch nur wieder vietnamesischen Instant-Kaffee, japanische Nudeln und chinesisches Insektenspray. Das Zeitungsangebot ist vielfältig und die Lokalblätter berichten über den neuesten Hunrun-Report, eine Liste superreicher Chinesen (www.hunrun.net). Ein Blatt vermeldet, dass der Oberbürgermeister leicht angesäuert sei, weil von den 1000 reichsten Chinesen nur 13 "Plutokraten" in Changzhou residieren. Die haben Probleme: "Die globale Kreditkrise und die Stärke des RMB machen Aquisitionen in Übersee für Chinas sehr liquide Tycoone leichter denn je", heißt es auf der Hunrun-Webseite. Ja klar, die Nationalbank pumpt die Geldblase für Banker, Superreiche und Spekulanten immer wieder auf, während die Kleinverdiener längst arbeitslos zu Hause sitzen. Warum sollte es hier anders sein?

10-okt-08

Aus der Finanzkrise wird gerade eine allgemeine weltweite Wirtschaftskrise: die westliche Finanzindustrie hatte ein gigantisches Schneeballsystem betrieben und riesige Mengen "fiktiven" Kapitals akkumuliert: Gewinnversprechen nach dem Kettenbrief-System, für die nun der Steuerzahler aufkommmen soll. Die Finanzblase mit ihrer Geldschwemme war seit den 80-er Jahren "sekundärer Treibsatz" der defizitären Realökonomien des Westens. Alles hing von der US-Konjunktur ab, die ihren fleißigen Konsum nur mit Kapitalimporten von 700 bis 800 Milliarden Dollar im Jahr ausgleichen konnte. Schulden, die das Imperium nur machen konnte, weil praktisch die ganze Welt für die USA sparte. Vor allem asiatische Investoren waren geradezu darauf fixiert, ihr Geld bei "Fannie und Freddie" in den USA anzulegen. Die "Konjunktur-Lokomotive" USA steht nun für die nächsten Jahre auf dem Abstellgleis. Eine neue ist nicht in Sicht. Überhaupt ist eine Abkehr von der Blasen-Ökonomie noch keineswegs ausgemacht. Die Finanzindustrie hatte sich weltweit eine ihr genehme Politik gekauft: Deregulierung der Märkte, Senkung der "Lohnnebenkosten", Sozialabbau, Billiglohnsektor und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse. Die Infrastruktur wurde privatisiert, der Staat wurde "schlank" und zur antisozialen Krisenverwaltung. Alle Lebensbereiche sind nun von dem virtuellen Kapital und seinem "Sponsoring" abhängig: Altersvorsorge, Gesundheit, Kunst, Kultur, Sport, öffentliche Verwaltung allgemein. Von "unten" wurde der Neoliberalismus bereitwillig aufgenommen, die Zwänge verinnerlicht. Individualisierung wurde zum Schlagwort für die bedingungslose Selbstauslieferung der "Ich-AG" an die Marktkräfte. Der Dienstleistungs-Sektor verschwindet nun allmählich, denn seine Billiglohn-Betriebe können nicht mehr genug Kapital für ihre Weiterexistenz akkumulieren. Die Verwertungsbasis des Kapitals in der Realwirtschaft ist extrem geschrumpft, die Krise ist längst von den Hütchenspielern des Bankensektors auf die Warenproduzenten übergesprungen. Mittelstand und Billiglöhner können das Ende der Finanzblasen-Ökonomie ebenso wenig aussitzen wie die Medienindustrie oder die "digitale Bohème", ganz zu schweigen von den Staatsfinanzen. Der Staat als einzig verbliebener Akteur wird rabiat gegen seine Bürger in Stellung gebracht - die Welt wird chinesischer.

06-okt-08

Ein Wochenende in Halles künftiger Partnerstadt Jiaxing und die Frage: Wie könnte das zusammenpassen, die boomende Dreieinhalb-Millionen-Metropole und das schrumpfende 200 000-er Städtchen? Die Altstädte sind von der Größe her vergleichbar, Alt-Jiaxing wird von einem Ringkanal umschlossen. Entlang der Nord-Süd- und Ost-West-Achsen Betonhochbauten, am Wasser sind an mehreren Stellen fast komplette Altstadtquartiere erhalten, bzw. restauriert. Man wirbt damit, das "Venedig des Ostens" zu sein. Eine mehrstöckige Mall und etliche herausgeputzte Ladenstraßen machen einem halb verlassenen Boulevard aus den 70-er Jahren Konkurrenz. Überall gibt es was zu essen und trinken, unzählige Gaststätten aller Größen, Stile und Preisklassen finden ihre Kunden. Außerhalb des Rings im Südosten ein See mit Pagode und Erholungslandschaft. Im Osten der Bahnhof, im Westen und Norden Busbahnhöfe, ein Haltepunkt der Magnetschwebebahn ist im Bau. Insgesamt eine angenehme Stadtstruktur, in der man sich innerhalb von zwei Tagen zurecht finden kann. Die Stadt ist viel zu schnell in die Fläche gewachsen und hat die Verwaltungsfunktionen für dreieinhalb Millionen Menschen an sich gezogen. Eine einsträngige Hierarchie nach dem Kommandoprinzip - nichts, was unsere Verwaltung unbedingt lernen sollte. Die Häfen brummen, auf dem Kaiserkanal drängen sich die Schiffe, ein 20 km entfernter Tiefseehafen schlägt Container in alle Welt um. Die Billig-Textilindustrie dominiert, dazu Haushaltgeräte-Buden, Elektronik-Schrauber und andere verlängerte Werkbänke von Weltkonzernen in riesigen Gewerbegebieten. Hochhaus-Siedlungen in den Außenbezirken, die wohl eher zur China-typischen Immobilienblase gehören. Richtig Turbo und Neo ist die Wirtschaft hier erst seit den 90-er Jahren und man tut sich schwer mit der heraufziehenden Wirtschaftskrise. Doch gerade auf dem Gebiet der Wirtschaft sehe ich Austausch-Möglichkeiten zwischen Jiaxing und Halle. Eine nun schon fast 20-jährige Krisenerfahrung sagt uns, dass die Welt nicht untergeht, auch wenn die neoliberale Bewußtseinsindustrie Menschen und Dynamiken ausdauernd schlecht redet. Der chinesische Zentralstaat wird seine Binnenkonjunktur mit Klauen und Zähnen verteidigen. In Hinsicht auf Materialqualität, Funktionalität und Design gibt es riesige Reserven - die Deutsche sofort sehen, verbessern und in neue Produkte "gießen" können. Die Chinesen sitzen auf großen Spareinlagen und würden für Qualität auch angemessene Preise zahlen. Designer, überhaupt Kreative, hätten hier zwar das Problem des nicht funktionierenden Urheberrechts, aber wenn die Verbindung zur Produktion eng genug ist, "frisst" der schnelle Kreative den langsamen Kopierer...
(Fotos auf http://picasaweb.google.de/djdarmtm/jiaxing)

29-sep-08

In der FEER 08/2008 beschäftigt sich David Bandurski mit dem Qualitätsverlust, den das Agieren der "Fifty Cent Party" für die kommunistische Theoriebildung bedeutet. Einst war die Ideologieproduktion wichtigster und angesehenster Teil sozialistisch / kommunistischer Parteiarbeit. Marx brütete Jahrzehnte in der British Library. Wenn bei Lenin im Kreml nachts noch Licht brannte, ging es mindestens um die Weltrevolution. Auch als Mao auf dem langen Marsch mit den Gefährten diskutierte, war ein gewisses Mindestniveau gesichert. Heute hingegen hat die KP ihre tägliche Ideologieproduktion "ausgelagert", an ehrgeizige Laien abgegeben. Zwischen Ballerspiel und Video-Saugen maßregeln jugendliche Smarties nebenbei ernsthafte politische Diskussionen. Platte Desinformation, pauschales Abwiegeln, persönliche Anmache und nationalistische Sprüche sind an die Stelle des Studiums der Klassiker und der behutsamen Weiterentwickling progressiver Ideen getreten. Das meint auch Li Yonggang von der Universität HongKong: “Historisch gesehen lag die größte Stärke der KP Chinas in ihrer ideologischen Arbeit unter den Massen. Nun aber hat der Begriff der 'ideologischen Arbeit’ seinen Glanz verloren. Der Fakt, dass die Führung Leute anheuern muss und zusätzlich Geld zur Verfügung stellt, um ihren Einfluss im Markt der Möglichkeiten zu behaupten, ist weniger ein Zeichen für engere Kontrolle durch die Partei, eher eines für ihre schwindende Kompetenz.”

28-sep-08

Vom 26.8. bis 3.9.1978 nahm der Genosse Fliegerkosmonaut Siegmund Jähn an Bord der Sojus 31 an einem Raumflug zur Station Salut 6/Sojus 29 teil. Der Propaganda-Rummel in den DDR-Medien war ungeheuer. Daran fühlte ich mich heute erinnert, als dutzende chinesische Fernsehkanäle den ersten chinesischen "Spacewalker" rühmten. Irgendwie ist es ein Dejà-vu um 30 Jahre zurück. 1978 war das Jahr, als in der DDR der Wehrkunde-Unterricht eingeführt wurde. Die Honeckerei steckte in einer Legitimationskrise und wurde nur noch als Misere wahrgenommen. Sogar das Ost- Sandmännchen musste Panzer fahren, denn es waren Großmanöver des Warschauer Pakts angesagt. Und im Westen herrschte die "Stahlkrise"...

25-sep-08

Die Ausländer-Bespaßung der Shanghaier Stadtverwaltung hatte nach Chongming eingeladen, einem Schwemmland-Areal im Yangtse-Delta. Mit 1267 km² ist Chongming Chinas drittgrößte Insel, nach Taiwan und Hainan. Die Insel hat zwei Seehäfen, Baxiao und Xinjian. Im Bau sind Tunnel und Brücken zum Festland, bisher können die 700 000 Inselbewohner das Festland nur mit Fähren erreichen. Administrativ gehört Chongming zu Shanghai und die Stadtregierung plant die Ansiedlung von Schiffbau und Lebensmittelindustie, dazu „Öko-Touristik“ und einige Vorzeigeprojekte nachhaltigen Bauens und Wohnens. Begleitet von schauderhaftem Greenwash-Geschwätz werden Niedrig-Energiehäuser in die Landschaft geklotzt, für die Betonbauten der Deng-Ära weichen müssen. Öko-Reis wird angebaut, Besucher können Kraniche und Zugvögel beobachten oder beim großflächigen Landschaftsbau zusehen. Ältestes Projekt ist das 1999 ausgewiesene Vogelschutzgebiet Dongtan im Osten der Insel. Jedes Jahr kommen mehr als eine Million Zugvögel aus Sibirien, Ostasien, Südost-Asien und Australien hierher. Über 130 geschützte Arten wurden schon beobachtet. Es gibt drei Schutzzonen: 240 km² Totelreservat, eine Pufferzone und die Touristikzone. Die Verwaltung hat einen kitschigen Findling aufgestellt, vor dem man sich fotografieren lassen kann, aber nicht muss. Im drei Quadratkilometer großen Xisha-Nationalpark fallen die unzähligen Krabben auf. Es gibt Bohlenwege durch das Schilf zum Yangtse, einen neun Meter hohen Holzturm und eine Ausstellungshalle. Man kann bei Sonnenaufgang Heißluftballon fahren, über Wippen und Gerüste klettern oder Picknick halten. Die Flutkatastrophe von 1969 formte das Ökodorf Qianwei nördlich der Inselmitte. Auf 244 Hektar leben 753 Menschen, die schon von so ziemlich allen Parteigrößen besucht wurden. Das Programm “Travel to a Farmhouse” ist so etwas wie “Urlaub auf dem Bauernhof” in 43 Ferien-Gästehäusern, mit Kräuter-Wellness und vogelkundlichen Lehrwanderungen. Der Perlsee grenzt an die Stadt Huazhen im Westen von Chongming. Eingebettet in 667 Hektar Orangenhain ist er der größte See der Insel und bis zu acht Meter tief. Auffällig ist die brutale Uferbefestigung aus Porpyr-Bruchsteinen und Beton. Gaos Villa (Gao Jia Zhuang Yuan) ist ein weiterer ummauerter See mit Naturlehrpfad, Vogelschutz-Ausstellung, Anglerheim, Weingarten, Bonsai-Sammlung, japanischem Pavillon und zwei Tennisplätzen, insgesamt etwa 67 Hektar. Der Nationalpark Dongping Forest befindet sich im nördlichen Inselinneren und nimmt etwa 358 Hektar ein. Es gibt Ziergärten, Nutzgärten, Touristik-Center, Yachthafen, Streichelzoo, freilaufende Pferde, Scooter-Rennstrecke, Kletterwände, Angelplätze, Picknickplatz, Beach-Volleyball-Platz, Schwimmbecken, dazu Unterkünfte und Gaststätten. Erwähnenswert ist noch das Fischerdorf Yingdong im Osten der Insel an einem eingedeichten Areal. 52 Familien betreiben hier Teichwirtschaft, Obstbau, Hofläden, Gastronomie und eine Ausstellung über das ländliche Leben in den 1950er und 1960er Jahren. Prägend für Chongming sind jedoch längst die Städte, die aussehen wie überall im östlichen China. Und mit der globalen Erwärmung wird der Siedlungsdruck auf die Insel noch weiter zunehmen. Während der Meeresspiegel steigt und Teile von Shanghai unter Wasser setzen wird, wird im Yangtse-Delta immer noch Schwemmland aus den mittleren und westlichen Provinzen Chinas abgelagert. Es gehört wenig Phantasie dazu vorher zu sagen, dass sich Shanghai in Richtung Nordosten ausdehnen wird, während man am Huangpu langsam nasse Füße bekommt...

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Stanislaw Ossowski
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Jiang Rong
Der Zorn der Wölfe


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