Sicherungskopie 3

22-jun-08

Sie sind verschwunden, die endlosen Schlangen von Lastwagen und schweren Baufahrzeugen an den Tankstellen. Der überfüllte Linienbus biegt nicht mehr zu seiner Betriebs-Tankstelle ab, um sich exakt 90 Liter Diesel für die nächsten zwei, drei Touren abzuholen. Geschlossene Tankstellen sieht man auch nicht mehr, denn Chinas Regierung hat am Donnerstag die Preise für Mineralöl-Produkte angehoben: für Benzin um 15 Prozent, für Diesel um 17 Prozent und für Flugbenzin um 25 Prozent. China subventioniert den Benzinpreis um etwa 50 Prozent und hat dadurch direkten Einfluss auf die Preise an den Zapfsäulen. Die meisten Experten hatten erwartet, dass die Regierung noch mehr subventioniert und die Preise unverändert lässt. Der Volkskongress hatte auf seiner Frühjahrstagung eine strikte Inflationsbekämpfung beschlossen und deshalb waren auch die Benzinpreise eingefroren worden. Nun schnellt die Inflationsrate also wieder in die Höhe und die Menschen kaufen säckeweise Reis und andere Grundnahrungsmiittel, die nun zweifellos auch wieder teurer werden. Für die pseudo-privaten chinesischen Mineralöl-Großhändler ist die Spekulation aufgegangen. Es wird erwartet, das sie ihre hohen Lagerbestände an Kraftstoffen nun zügig abbauen und so für Entspannung auf dem internationalen Rohölmarkt sorgen. Nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur wächst die Ölnachfrage in Asien jährlich um etwa drei Prozent. Ohne Asien würde die weltweite Nachfrage sinken, denn Energie-Sparen ist hier immer noch ein Fremdwort.

14-jun-08

Dass die Iren den EU-Vertrag ablehnen würden, war keineswegs sicher. Die EU hatte ihnen einen Wirtschafts-Aufschwung beschert, Nordirland befriedet und eine Menge Wahlgeschenke verteilt. Entscheidend war wohl das Gefühl, einen "alten Text im neuen Umschlag" abnicken zu sollen. Die neoliberalen Dogmen Privatisierung, Sozialdumping und Aufrüstung sollten als "Verfassung durch die Hintertür" in Beton gegossen werden. Die aggressiven Gesten Frankreichs und Merkel-Deutschlands gegen China hatten wohl auch außenpolitische Ängste geweckt. Nun schwadronieren die Nachrichtenportale, wie man die Wahlbürger sofort wieder betrügen könnte. Denn letztlich nährt das Wahlergebnis von Dublin nur die Illusion, dass Wahlen etwas ändern könnten.

12-jun-08

China und Deutschland sind nicht nur abwechselnd Export-Weltmeister, beide streiten sich auch um den Titel Exportüberschuss-Weltmeister. Der Leistungsbilanzsaldo der Welt ist immer genau Null. Das heißt, wo es Überschüsse gibt, muss es auch Defizite geben - also Länder, die sich für ihre Importe verschulden. Das Außenhandels-Defizit der USA ist gewaltig, Frankreich, Italien, Großbritannien und Spanien sind die größten europäischen Schuldner Deutschlands. Und es ist nicht zu erwarten, dass diese Schulden je zurückgezahlt werden. Im Dollarraum wird das Problem eh durch Abwertung gelöst, die anderen EU-Länder schlittern in ausweglose wirtschaftliche und innenpolitische Krisen. Durch Frankreich geht gerade eine Welle der Deindustrialisierung. Die deutschen Exportgewinne fließen in private Taschen, die Verluste müssen durch staatliche Leistungen in der EU-Krisenbekämpfung und Transfers in Sozialsysteme aufgefangen werden. Lohndumping und der damit verbundene Verzicht auf Binnenkonsum haben die Deutschen weichgeklopft. Nur das Märchen von einer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaft wird man ihnen nicht noch einmal erzählen können.

09-jun-08

Dieser Montag ist Drachenboot-Feiertag. Am Wochende konnte man mit putzigen Ruderbooten um die Wette fahren und anschließend die Geselligkeit pflegen. Doch wo liegt da der tiefere Sinn? Das Drachenboot-Festival gedenkt des treuen Beamten Qu Yuan, der 340 bis 278 v.Ch. im Staate Chu wirkte. Qu Yuan zeichnete sich durch politisches Geschick aus und dichtete auch. Dann fiel er beim König in Ungnade und mußte mit ansehen, wie unfähige Nachfolger den Staat Chu herunter wirtschafteten, bis ein mächtiger Nachbarstaat in Chu einfiel. Verzweifelt stürzte sich Qu Yuan in den Fluss Mi-Lo. Die biederen Fischer von Chu versuchten ihn mit ihren Booten zu retten. Sie schlugen Trommeln und Gongs. Andere warfen in Bambusblätter gewickelte Reisklöße in den Fluss. Damit sollten Drachen und Fische davon abgehalten werden, den Körper Qu Yuans zu fressen. Seit 2286 Jahren wird nun jeweils an seinem Todestag des getreuen Beamten und der guten alten Zeiten gedacht. Für die Ruderwettkämpfe werden spezielle Drachenboote verwendet, mit Kopf und Schwanz des Drachen. Jener mythischen Kreatur, die als Beherrscherin der Gewässer und des Regens verehrt wird. Jedes Jahr werden seine Augen neu aufgemalt - der Drache erwacht und eventuelle böse Geister haben keine Chance mehr.

06-jun-08

Dietmar Dath hat bei Suhrkamp einen Essay "Maschinenwinter" herausgebracht, in dem er immer noch versucht, die Probleme der Maschinenstürmer zu lösen. Soll man auf den Computer verzichten und neoliberale Ideologie wieder mit der Gänsefeder auf handgeschöpftes Bütten kritzeln? Dabei bedient sich der FAZ-Feuilletonist Dath eines sonderbar altbackenen Polit-Jargons. "Lenin 2.0" albert darüber die TAZ. (6.6.08) Das Feuilleton streite für den Sozialismus: "Maschinenwinter" fordere auf, zu einer sozialistischen Demokratie voranzuschreiten. Dabei rennt Dath nur dem linkstönenden Zeitgeist hinterher. Was kann er dafür, dass die letzte FAZ-kompatibele Sprache dafür von Herrmann Kant und Peter Hacks stammt? Die linkstönende Mehrheit muß eben ihr Vokabular erst noch kodifizieren, solange soll es der Sound der umgewickelten DDR-Medien tun. All das verdanken diese FAZ-kes großkoalitionärer Kriegstreiberei plus Hartz-bürokratischem Sozialraub. Eigentlich müßte Ex-Kanzler Schrödtler in Shanghai nicht Einstein, sondern Peter Hartz einen Denkmal-Nischel setzen...

03-jun-08

Olympische Ölblase? Die Finanzberater von Lehman Brothers haben eine ihrer Studien „Oil dotcom“ genannt - ein Vergleich mit der Spekulationblase der Internet-Firmen, die 2000 geplatzt war. Die Marktanalysten verhalten sich wieder einmal irrational - die Verbraucherländer zahlen und subventionieren jeden Preis. Zusätzlich importiert die VR China große Ölmengen, um Lagerbestände für die Olympischen Spiele aufzubauen. Die Gebrüder Lehman stellen die These auf, dass "sich ein Teil der Nachfrage schlicht im Medaillenregen auflösen" wird und spätestens dann die Blase platzt. Noch geht das Leiden weiter, die Schlangen an den Tankstellen, die Mobilitätseinschränkungen, der weltweite Konsumverzicht bei Grundnahrungsmitteln bis hin zum Hunger. Dabei ist es schwer einzusehen, weshalb man für ein mäßig interessantes Sportfest derartige Ölvorräte horten muss?

31-mai-08

Der "gute Populismus": als sein Erfinder gilt der australische Premierminister Kevin Rudd. Er unterzeichnete doch noch das Kyoto-Protokoll, entschuldigte sich bei den Ureinwohnern und machte den Midnight-Oil-Sänger Peter Garrett zum Umweltminister. Barack Obama und seine „Politik der Hoffnung“ kann man zweifellos dem "guten Populismus" zurechnen. Auch die neuseeländische Premierministerin Helen Clark zeigt ihre schlechten Zähne häufig im chinesischen Fernsehen. Kevin Rudd ist ein Bakkalaurus der Asien-Wissenschaften und spricht Chinesisch. Er brachte den "guten Populismus" zuerst nach Beijing. Überflügelt wurde er inzwischen von Wu Poh-hsiung, dem Kuomintang-Vorsitzenden auf Taiwan, der durch die Erdbeben-Gebiete tourte. Am Sun-Yat-sen-Mausoleum in Nanjing schrieb er sogar ein Gedicht mit rascher Tuschfeder: "Der Staat gehört dem Volke. Das Volk alleine ist wichtig." "Vox populi vox dei." sagt der populistische Lateiner.

27-mai-08

Den Sonnabend verbringe ich im Yancheng Safaripark im Stadtteil Wujin (Eintritt 80,- Yuan). Gegen 10.00 Uhr läuft am Hauptweg eine Ethno-Show mit undefinierbarer Thematik - erstaunlicher fand ich den kleinen Eisbären im Knut-Alter am südlichen Rundweg. Die Beschilderung ist fast nur in Chinesisch, am linken Hauptweg sind die Schlangen und Echsen zu finden. Am Abzweig die Halle für Tierdressuren und Artistik. Ganz im Süden ist die Haltestelle der Bimmelbahn, mit der man durch den nicht zu Fuß zugänglichen Teil der Anlage zuckelt. Ich beobachte den geheimnisvollen Schlammhirsch auf dem Weg zur Futterstelle. Antilopen, Löwen, Tiger, Kormorane, Storche, gut getarnte Strauße, Zebras, Giraffen, faule Kängurus, tropische Vögel und jede Menge Affen. Für mich strengen sich die Primaten anscheinend besonders an, erkennen in mir wohl einen Verwandten: ein dicker Langnasenaffe - der letzte seiner Art in Xueyuan. Der Yancheng Safaripark ist tiergärtnerisch durchaus ansprechend und an die Landschaft angepasst. Parkplätze sind am Haupteingang auch genügend vorhanden. Die Gastronomie ist ein wenig unterentwickelt, aber wahrscheinlich sind viele Besucher schon vom Eintrittspreis satt. An einer Imbissbude esse ich eine Nudelsuppe, aus den überall eingegrabenen Lautsprechern spielt dazu die Titelmelodie von "Totoro", ganz langsam und mit Glockenspiel - süß! Man kann auch kleine rote Fische angeln, vielleicht hat es ja einen tieferen Sinn. Am frühen Nachmittag startet die Dressurshow der Delfine und Seelöwen. Wer gut zu Fuss ist, kann noch die uralte Wehrsiedlung erkunden, auf Karten durch die drei Wassergräben unschwer zu erkennen. Man verlässt den Safaripark durch den nördlichen Nebeneingang und geht danach gleich links durch das große Tor, über die schwarze Brücke und an den bronzenen Urchinesen vorbei in enger werdenden Kreisen dem Zentrum entgegen.

22-mai-08

Anna und Michael sind weg: die beiden australischen Englischlehrer, die mit mir auf der selben Etage des Wohnheims gelebt haben. Am Sonntag standen Kartons vor der Tür und am Montag räumten die Hausmeister schon die Reste fort. Mir hatten sie nichts gesagt, antworten auch nicht auf meine SMS. Gegenüber den anderen Lehrern und der Schulleitung sollen sie sich auch nicht zusammenhängend geäußert haben. Sie mussten eben weg und damit gut. Was ich überhaupt nicht gut finde, denn nun bin ich die einzige Langnase unter tausenden von Chinesen. Irgendwie hatte ich noch gehofft, ihn heute (Donnerstag) bei der Nachmittags-Bespaßung in der dritten Etage zu treffen. Er hielt dort manchmal landeskundliche Diavorträge, zwar mit JPG-Bildern aus dem Computer auf dem Beamer, aber der Form nach zweifellos Diavortraege, die immer noch den meisten Raum für Erörterung und Debatte bieten. Und Anna kann blitzschnell chinesische Zeichen schreiben, während ich diese eher wie ein Erstklässler male. Es ist nur noch ein Monat bis zum Semesterende. Ob sie vor der beinahe unlösbaren Aufgabe, hunderte Studenten einigermaßen gerecht zu benoten, zurückschreckten? Oder hat sie der beinharte Toten- und Politikerkult des Trauerrummels für die Erdbeben-Opfer so geschafft? Als Ossi habe ich hier immer wieder Dejavue-Erlebnisse und finde dann alles nicht so erschreckend. Für mich sind seit 1989 gleich mehrere Welten zusammengebrochen und stümperhaft wieder zusammengekleistert worden. Doch diesmal wird es anders kommen. Ob die Beiden wohl etwas ahnten?

17-mai-08

Die chinesische Internet-Zeitung Jiaozuo Daily berichtet über professionelle Internet-Kommentatoren, genannt “Fifty Cent Party”. Angeheuert werden sie durch Offizielle der jeweiligen Provinz und/oder Stadt. Der Name kommt daher, dass angestellte Blog-Kommentatoren und Forenposter neben ihrem monatlichen Grundgehalt für jedes Postig eine Extrazahlung von 50 RMB-Cents bekommen. Entstanden ist ein Mechanismus, der kritische Äußerungen aller Art im Netz effektiv zurückdrängt. Vorreiter dieser "aktiven Imagepflege" war u. a. das Polizeibüro der Stadt Jiaozuo in der Provinz Henan. Es schuf einen Interventions-Mechanismus zur ständigen Analyse und sofortigen Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Seine Feuertaufe bestand das System, als am Morgen des 10. August 2007 ein Autofahrer in Jiazuo von einem Verkehrspolizisten eine gebührenpflichtige Verwarnung erhielt. Der Autofahrer fühlte sich ungerecht behandelt und gab kurz darauf in einem privat betriebenen Online-Forum Despektierlichkeiten über die örtliche Verkehrspolizei von sich. Einige Forumsnutzer unterstützten ihn unverständlicherweise darin, gaben eigene Erfahrungen zum Besten und verbreiteten kritische Kommentare weiter. Zehn Minuten nach dem ersten Posting des Autofahrers machte ein diensthabender "Internet-Kommentator" des städtischen Amts für Öffentlichkeitsarbeit von Jiaozuo die Polizei auf das Geschehen aufmerksam. Diese aktivierte sofort ein Netzwerk von mehr als 120 Angestellten, welche im betroffenen Forum posteten, dort nach der "eigentlichen Wahrheit" fragten und "Unklarheiten" beseitigten. Zwanzig Minuten später setzten sich die Stimmen der Polizei-Unterstützer im Forum durch und etliche Poster distanzierten sich von der Person, die es gewagt hatte, die Arbeit der Verkehrspolizei zu kritisieren.

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