Sicherungskopie 2
14-mai-08
Von dem Beben las ich zuerst Montag Abend auf der Webseite von Shanghai Daily. Selbst hatte ich gar nichts gemerkt, nutzte eine Freistunde zum Fensterputzen. Die 40 hier empfangbaren Fernsehkanäle berichten umfassend und auf den Titelseiten der Zeitungen sind die schon aus dem Netz bekannten Fotos: Premierminister Wen Jiabao mit Megafon am Betonloch, Stadtviertel in Trümmern. Im Fernsehen stehen Menschen Schlange, um 100-Yuan-Scheine in rote Kästen zu werfen, die wie Wahlurnen aussehen. Man sieht massenhaft Baufahrzeuge und einige Transporthubschrauber, Blutspender auf ihren Liegen. Die Helfer wirken professionell und diszipliniert, die Berichterstattung scheint sachlich und zurückhaltend zu sein. Ein chinesischer Analyst der Deutschen Bank empfindet die ökonomischen Auswirkungen des Erdbebens als nur begrenzt: "The epicenter of the quake, Wenchuan County in Sichuan Province, is a mountainous area with limited industrial and agricultural production." Dort könnten die Lebensmittelpreise überdurchschnittlich steigen, auch die Börsenpreise für Baustoffe und Erze reagieren. Insgesamt kaum mehr als ein "brief break" für das Boomland. (Shanghai Daily 14.05.) Über die Auswirkungen der Katastrophe auf die politische Großwetterlage spekulieren nur die Westmedien, ich behalte es auch mal für mich...
07-mai-08
Die ARGE hat gezahlt: die Armutsverwaltung von Halle/S. hat mir den Höchstsatz der Hartz-IV-Mobilitäts-Beihilfe auf mein deutsches Sparkonto überwiesen. Nun wurde also auch meine Arbeitskraft mit Hilfe von Staatsknete exportiert. Das Flugticket hat zwar 70,- Euro mehr gekostet, aber die lege ich gerne drauf. Und stehe dazu - die Kellner auf den Donau-Dampfern, die einen rumänischen Arbeitsvertrag unterschreiben, bekommen auch den Höchstsatz. Andererseits finde ich es empörend: diese Ungeheuer verkaufen Landeskinder, wie einst der Landgraf von Hessen-Kassel. Doch während der "elende Menschenmakler" seinerzeit kräftig verdiente, macht der neoliberale deutsche Staat dabei Verlust. Zahlt bares Geld, verliert eine erfahrene und motivierte Arbeitskraft, einen fleißigen Konsumenten und vieles mehr. Doch keine Angst, ich komme wieder! Und dann wird abgerechnet!!!
24-apr-08
Mit dem Linienbus 302 fahre ich nachmittags ins Dinosaurierland Changzhou: das wurde im September 2000 eröffnet, es erstreckt sich über etwa 600 Hektar im Norden der Megacity und hat einiges zu bieten. Mehr als 30 Themen-Aufbauten wie Dinosauriernest, Urmenschen-Siedlung, Dino-Geisterbahn, Rhaptoren-Rutsche, Brontosaurier-Grill, Megalitisches Abenteuer, Jungsaurier-Rennen, eigenes Musical-Theater, Seelöwen-Dressur, futuristische Karussells und dicke Beton-Echsen an jeder Ecke. Im Dino-Museum sind über 50 echte Fossilien zu bewundern, Hallen für Messen, Ausstellungen und Events stehen bereit. Es gibt einen lebenden Panda, ein eigenes Hotel und Bimmelbahnen. Doch nicht nur die Attraktionen sind riesig, auch die Eintrittspreise sind megalithisch: 120 Yuan pro Erwachsenen, was für viele hier immer noch ein halbes Monatseinkommen ist. Auch für Langnase sind 12,- Euro ein merklicher Betrag, zumal er hier gerade mal so viel wie ein Hartz-Zögling verdient. Wobei jetzt viele Attraktionen umgebaut werden und um 17.00 Uhr werden ohnehin die Bürgersteige hochgeklappt. Die Pfauen werden in den Stall gescheucht, der einzige Panda eingesperrt und die Plüschtiere im Souvenir-Supermarkt werden auch in große Taschen gestopft und eingeschlossen. Nächstes Jahr fahre ich wieder nach Kleinwelka, da kostet der Eintritt nur 9,- Euro und die Pfauen machen Überstunden.
23-apr-08
Das China Europas: Gustav Horn nennt Deutschland heute in der FR "das China Europas". Und begründet das damit, dass die deutschen Arbeitskosten im vergangenen Jahr so gering gestiegen sind wie in keinem anderen EU-Staat. Tatsächlich sind die Löhne gegenüber den Lebenshaltungskosten in D-Land annähernd so kümmerlich wie in VR-China. Beide Volkswirtschaften gehören zu den weltweit schärfsten Klassengesellschaften mit Gini-Koeffizienten der Einkommen von real ca. 0,5 bis 0,6. Und die Einkommensscheren öffen sich rasant weiter. Denn die Funktionseliten beider Länder haben sich völlig der neoliberalen Ideologie verschrieben, die Normalbevölkerungen lehnen diese weitgehend ab. Sinkenden Einnahmen der privaten Haushalte schwächen die Binnenwirtschaft. Das lähmt Unternehmen, die hauptsächlich für den inländischen Markt produzieren. Volkswirtschaftliche Leistungsbilanz-Überschüsse sind Zeichen für zu niedrige Löhne in beiden Ländern. Der klassische Streik wird es wohl nicht richten - neue Arbeitskampf-Formen sind gefragt. Wobei letztere Schlussfolgerung nicht von Horn ist...
13-apr-08
Schanghai ist weniger Moloch als gedacht: der Huangpu ist eine Kloake, das Gewimmel nimmt kein Ende und in den Drinks ist zu viel Eis. Zwar sind mehr "Langnasen" auf den Straßen zu sehen, doch die werden sogleich erkannt und sollen falsche Rolex-Uhren kaufen. Ich habe ein französisches Baguette gekauft, Butter, Würstchen und Käse. Fehlt noch die Marmelade, keine watch, keine bags, auch keine Massage. Wie die nur erkannt haben, dass ich völlig verspannt war? An den Werbeansprachen merkt man, ob man in einer Touristengegend ist. Und Zweifel am Aussehen entstehen: sehe ich wirklich so bescheuert aus, dass die mir diesen Mist verkaufen wollen? Aber ich bin ja so ein Werbe-Kuli-Versteher, frage sie nach dem Weg. Sie zeigen in irgendeine Richtung, es ist ihnen völlig gleichgültig - wie den Normalchinesen auch. Die U-Bahn ist besser organisiert als in D-Land, man kauft ein Plastik-Ticket genau zur Zielstation, dort werden die Tickets eingesammelt, aufgeladen und wieder verkauft. So gibt es keine Kontrollorgien, wie jüngst auf Berliner S-Bahnhöfen, auch keine kontrollierenden Schlägertrupps wie in Halle. Das Schanghaier Shopping-Angebot ist nicht so toll, von den chinesischen Produkten brauche ich nichts wirklich. Es gibt eine Menge Importwaren weit über den Weltmarkt-Preisen, da bleibt nur Gucci-Gucki und Lolex-watchen. Westliche Zeitungen gibt es nicht, no Time, keine Zeit, nix TAZ-Furter Allgemeine Rundschau, no Newsweek, ist auch besser so. Das Expo-Maskottchen sieht irgendwie aus wie Birgit Breuel. Raucher müssen jetzt auch in China vor die Tür, nicht überall, aber im "Café de Coral".
09-apr-08
"Angst haben, keinen Job zu kriegen, Angst haben, Zeit zu verlieren, immer Angst haben!" Das sagt die kleine Trommlerin im Film "Meer is nich". Und wirklich kann man den gelasseneren Umgang mit den neoliberal/neokonservativen Grausamkeiten in Deutschland auch im Film sehen. Während "Schultze" noch im fernen Amerika an den Folgen seiner Vergiftung sterben mußte, bleiben die wackeren Handwerker von "Der Letzte macht das Licht aus" schon im Lande und wehren sich täglich. Die vier Girlies von "Meer is nich" gehen einen Schritt weiter und trommeln einfach mal was neues. Nun wäre die Singstimme dran, sprich die Literatur. Aber wahrscheinlich wird wieder der Film das Rennen machen, denn die Dichtung ist hoffnungslos desorientiert und zersplittert in Rest-Bürgerlichkeit, Popkram, postmoderne Plapperwerke und "relevanten Realismus".
06-apr-08
Langes Wochenende, heute ist Feiertag: "Tomb Sweeping Day", auch Qing Ming genannt, eine Art chinesischer Totensonntag mit extrem langer Tradition. Zum "Tag des Gräberfegens" versucht jeder, irgendwie zu Verwandten und Bekannten zu fahren, um dort die eigenen Ahnen hoch leben zu lassen. Den hier Gebliebenen bleibt nur das virtuelle Gräberfegen, z.B. auf www.netor.com oder www.hells-heaven.net Für mich bedeutete das bevorstehende lange Wochenende, den Unterricht in der letzten Stunde lockerer zu gestalten. Die Studenten hatten nach deutschen Filmen gefragt, aber mir fielen nur irgendwelche Hollywood-Schinken und Komiker-Schmonzetten ein. "Brothers Grimm" finde ich gut und "Schultze gets the blues". "Der Letze macht das Licht aus" fiel mir noch ein, aber auf der Internet-Seite des Films lies sich der Trailer nicht herunter laden. Verzweifeltes Googeln im Netz, gibt es ihn noch, den relevanten deutschen Film? Menschlich, erzählfreudig, bildgewaltig und auch wirklich in den Kinos? Verbohrte Stasi-Dramen und verfilmte Videospiele gibt es genügend, nur Qualität ist dünn gesäht. Schließlich habe ich doch noch zwei vorzeigbare deutsche Filme gefunden "Keinohrhasen" mit Til Schweiger und "Meer is nich". Alter amerikanischer Touristenspruch sagt: "In China you don’t learn about China, in China you learn about yourself."
26-mär-08
Spam-SMS: Seit ich ein chinesisches Mobiltelefon habe, darf ich mir immer wieder das nervige "Pling" ankommender SMS anhören, oftmals mitten in der Nacht. Heises Online-Dienst meint mit der "Focus Media Holding" den Schuldigen gefunden zu haben. Ich meine eher, es ist "China Mobile" selbst, das seine Kunden da so belästigt. Denn die Werbeflut begann wenige Tage nach der Anmeldung des "Handys". Geworben wird durchschnittlich viermal am Tag, meist für überteuerte Konsumentenkredite und nutzlose Versicherungen. Meine Nummer habe ich nur wenigen Lehrern und Studenten gegeben, dazu ein paar Leuten in Deutschland. Laut der Nachrichtenagentur Xinhua entschuldigte sich China Mobile für Schlupflöcher in der Betriebsführung. Sie hätten den Versand von Werbe-SMS an fast die Hälfte der chinesischen Mobilfunknutzer ermöglicht. Dafür scheinen chinesische Mailadressen weitgehend von Spam-Mails verschont zu bleiben, bei meiner neuen Mailadresse auf 163.com ist noch keine einzige Werbemail angekommen. Wo nichts zu holen ist...
21-mär-08
J-Pop-Fieber: In einer kleinen Ladenstraße wenige hundert Meter vom College entfernt wird gerade eine Kanalisation gebaut: Die Erde ist meterhoch aufgetürmt und Bauschutt liegt ziemlich wild herum. Doch die Läden haben alle geöffnet. Friseur-Salons werben hier mit lauter Popmusik, aus zwei Boxen dröhnt Ayus "Maria". In einem Plattenladen auf der Mall sehe ich später ein ganzes Regal Japanpop, im Preis etwa 20 Yuan pro Doppel-CD. Hitomi Shimanti, Hikaru Utada, Koda Kumi, Matsu Takako und eine Kompilation schleppe ich gleich davon. Alle in umweltschonenden Pressholz-Kästchen im edelen Design abwaschbarer Kantinentische. Im zweiten Plattenladen muß noch Ayumi Hamasakis neue Scheibe 'Guilty' mit. Im WalMart kann ich Mai Kuraki nicht widerstehen. Die Doppel-CDs sind Lizenzprodukte mit Hologramm, randvoll mit der Originalmusik des jeweiligen Künstlers. Dabei nimmt man es mit der Titelauswahl nicht so genau. So prangt auf dem Cover von Ayus 'Guilty' das bekannte Bild mit dem getigerten Kleid. Auf den Scheiben sind aber neben den 14 Songs vom Januar 2008 noch 17 ältere, ebenso schöne. Unterschätzt habe ich bisher Matsu Takako, in ihrer legeren Kleidung und mit dem großen Köter habe ich sie bisher für eine singende Schauspielerin gehalten. Doch ihre Balladen haben erkennbare Melodien, ihre Stimme ist ausdrucksvoll und vielfältig. Deshalb wohl ihre Beliebtheit hier, die Chinesen wissen, was gut ist. Jetzt muß ich mich mit Einkäufen sehr zurückhalten, um kein Fall für die Hotline "Deutsche in Not" zu werden.
19-mär-08
Gestern endete die Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses. Im Mammut-Parlament ging es hauptsächlich um Wirtschaftspolitik. Die offizielle Inflationsrate lag im Februar bei 8,7 %. Die Lebensmittelpreise stiegen durchschnittlich um 23,3 % gegenüber dem Vorjahr. Die Regierung will die Inflationsrate auf 4,8 % für das Jahr 2008 senken. Dem soll auch eine neue Struktur der Ministerien dienen, fünf sogenannte "Superministerien" sollen Lenkungsfunktionen bündeln. Allen ist klar, dass die chinesischen Arbeiter und Angestellten mehr als nur ein käftigen "Schluck aus der Lohnpulle" brauchen. Regelmäßige Lohnsteigerungen über der Inflationsrate sind dringend geboten. Doch Partei und Staat können nur mit Mindestlöhnen und Lohnerhöhungen in den Staatsbetrieben reagieren. Internationale Konzerne und der einheimische privat-korporatistische Sektor bräuchten starke Gewerkschaften, die regelmäßig mit harten Tarifforderungen auf der Matte stehen. Doch der chinesische Gewerkschaftsverband (ACGB) war bisher eher mit dem FDGB der DDR zu vergleichen. 60% der ausländischen Unternehmen weigern sich sogar, die staatsnahe Gewerkschaft überhaupt im eigenen Unternehmen agieren zu lassen. "Die chinesischen Gewerkschaften verstehen sich als Blumenvase von Partei und Regierung", ätzen West-Gewerkschaften wie die deutsche IG Metall. Wenigstens auf der Volkskongress-Tagung war der ACGB präsent. Funktionär Zhang Mingqim stellte eine Erhebung des ACGB vor, nach der 26 Prozent der chinesischen Arbeiter in den vergangenen fünf Jahren überhaupt keine Lohnerhöhung bekommen hätten. Es gibt viel zu tun ...
Von dem Beben las ich zuerst Montag Abend auf der Webseite von Shanghai Daily. Selbst hatte ich gar nichts gemerkt, nutzte eine Freistunde zum Fensterputzen. Die 40 hier empfangbaren Fernsehkanäle berichten umfassend und auf den Titelseiten der Zeitungen sind die schon aus dem Netz bekannten Fotos: Premierminister Wen Jiabao mit Megafon am Betonloch, Stadtviertel in Trümmern. Im Fernsehen stehen Menschen Schlange, um 100-Yuan-Scheine in rote Kästen zu werfen, die wie Wahlurnen aussehen. Man sieht massenhaft Baufahrzeuge und einige Transporthubschrauber, Blutspender auf ihren Liegen. Die Helfer wirken professionell und diszipliniert, die Berichterstattung scheint sachlich und zurückhaltend zu sein. Ein chinesischer Analyst der Deutschen Bank empfindet die ökonomischen Auswirkungen des Erdbebens als nur begrenzt: "The epicenter of the quake, Wenchuan County in Sichuan Province, is a mountainous area with limited industrial and agricultural production." Dort könnten die Lebensmittelpreise überdurchschnittlich steigen, auch die Börsenpreise für Baustoffe und Erze reagieren. Insgesamt kaum mehr als ein "brief break" für das Boomland. (Shanghai Daily 14.05.) Über die Auswirkungen der Katastrophe auf die politische Großwetterlage spekulieren nur die Westmedien, ich behalte es auch mal für mich...
07-mai-08
Die ARGE hat gezahlt: die Armutsverwaltung von Halle/S. hat mir den Höchstsatz der Hartz-IV-Mobilitäts-Beihilfe auf mein deutsches Sparkonto überwiesen. Nun wurde also auch meine Arbeitskraft mit Hilfe von Staatsknete exportiert. Das Flugticket hat zwar 70,- Euro mehr gekostet, aber die lege ich gerne drauf. Und stehe dazu - die Kellner auf den Donau-Dampfern, die einen rumänischen Arbeitsvertrag unterschreiben, bekommen auch den Höchstsatz. Andererseits finde ich es empörend: diese Ungeheuer verkaufen Landeskinder, wie einst der Landgraf von Hessen-Kassel. Doch während der "elende Menschenmakler" seinerzeit kräftig verdiente, macht der neoliberale deutsche Staat dabei Verlust. Zahlt bares Geld, verliert eine erfahrene und motivierte Arbeitskraft, einen fleißigen Konsumenten und vieles mehr. Doch keine Angst, ich komme wieder! Und dann wird abgerechnet!!!
24-apr-08
Mit dem Linienbus 302 fahre ich nachmittags ins Dinosaurierland Changzhou: das wurde im September 2000 eröffnet, es erstreckt sich über etwa 600 Hektar im Norden der Megacity und hat einiges zu bieten. Mehr als 30 Themen-Aufbauten wie Dinosauriernest, Urmenschen-Siedlung, Dino-Geisterbahn, Rhaptoren-Rutsche, Brontosaurier-Grill, Megalitisches Abenteuer, Jungsaurier-Rennen, eigenes Musical-Theater, Seelöwen-Dressur, futuristische Karussells und dicke Beton-Echsen an jeder Ecke. Im Dino-Museum sind über 50 echte Fossilien zu bewundern, Hallen für Messen, Ausstellungen und Events stehen bereit. Es gibt einen lebenden Panda, ein eigenes Hotel und Bimmelbahnen. Doch nicht nur die Attraktionen sind riesig, auch die Eintrittspreise sind megalithisch: 120 Yuan pro Erwachsenen, was für viele hier immer noch ein halbes Monatseinkommen ist. Auch für Langnase sind 12,- Euro ein merklicher Betrag, zumal er hier gerade mal so viel wie ein Hartz-Zögling verdient. Wobei jetzt viele Attraktionen umgebaut werden und um 17.00 Uhr werden ohnehin die Bürgersteige hochgeklappt. Die Pfauen werden in den Stall gescheucht, der einzige Panda eingesperrt und die Plüschtiere im Souvenir-Supermarkt werden auch in große Taschen gestopft und eingeschlossen. Nächstes Jahr fahre ich wieder nach Kleinwelka, da kostet der Eintritt nur 9,- Euro und die Pfauen machen Überstunden.
23-apr-08
Das China Europas: Gustav Horn nennt Deutschland heute in der FR "das China Europas". Und begründet das damit, dass die deutschen Arbeitskosten im vergangenen Jahr so gering gestiegen sind wie in keinem anderen EU-Staat. Tatsächlich sind die Löhne gegenüber den Lebenshaltungskosten in D-Land annähernd so kümmerlich wie in VR-China. Beide Volkswirtschaften gehören zu den weltweit schärfsten Klassengesellschaften mit Gini-Koeffizienten der Einkommen von real ca. 0,5 bis 0,6. Und die Einkommensscheren öffen sich rasant weiter. Denn die Funktionseliten beider Länder haben sich völlig der neoliberalen Ideologie verschrieben, die Normalbevölkerungen lehnen diese weitgehend ab. Sinkenden Einnahmen der privaten Haushalte schwächen die Binnenwirtschaft. Das lähmt Unternehmen, die hauptsächlich für den inländischen Markt produzieren. Volkswirtschaftliche Leistungsbilanz-Überschüsse sind Zeichen für zu niedrige Löhne in beiden Ländern. Der klassische Streik wird es wohl nicht richten - neue Arbeitskampf-Formen sind gefragt. Wobei letztere Schlussfolgerung nicht von Horn ist...
13-apr-08
Schanghai ist weniger Moloch als gedacht: der Huangpu ist eine Kloake, das Gewimmel nimmt kein Ende und in den Drinks ist zu viel Eis. Zwar sind mehr "Langnasen" auf den Straßen zu sehen, doch die werden sogleich erkannt und sollen falsche Rolex-Uhren kaufen. Ich habe ein französisches Baguette gekauft, Butter, Würstchen und Käse. Fehlt noch die Marmelade, keine watch, keine bags, auch keine Massage. Wie die nur erkannt haben, dass ich völlig verspannt war? An den Werbeansprachen merkt man, ob man in einer Touristengegend ist. Und Zweifel am Aussehen entstehen: sehe ich wirklich so bescheuert aus, dass die mir diesen Mist verkaufen wollen? Aber ich bin ja so ein Werbe-Kuli-Versteher, frage sie nach dem Weg. Sie zeigen in irgendeine Richtung, es ist ihnen völlig gleichgültig - wie den Normalchinesen auch. Die U-Bahn ist besser organisiert als in D-Land, man kauft ein Plastik-Ticket genau zur Zielstation, dort werden die Tickets eingesammelt, aufgeladen und wieder verkauft. So gibt es keine Kontrollorgien, wie jüngst auf Berliner S-Bahnhöfen, auch keine kontrollierenden Schlägertrupps wie in Halle. Das Schanghaier Shopping-Angebot ist nicht so toll, von den chinesischen Produkten brauche ich nichts wirklich. Es gibt eine Menge Importwaren weit über den Weltmarkt-Preisen, da bleibt nur Gucci-Gucki und Lolex-watchen. Westliche Zeitungen gibt es nicht, no Time, keine Zeit, nix TAZ-Furter Allgemeine Rundschau, no Newsweek, ist auch besser so. Das Expo-Maskottchen sieht irgendwie aus wie Birgit Breuel. Raucher müssen jetzt auch in China vor die Tür, nicht überall, aber im "Café de Coral".
09-apr-08
"Angst haben, keinen Job zu kriegen, Angst haben, Zeit zu verlieren, immer Angst haben!" Das sagt die kleine Trommlerin im Film "Meer is nich". Und wirklich kann man den gelasseneren Umgang mit den neoliberal/neokonservativen Grausamkeiten in Deutschland auch im Film sehen. Während "Schultze" noch im fernen Amerika an den Folgen seiner Vergiftung sterben mußte, bleiben die wackeren Handwerker von "Der Letzte macht das Licht aus" schon im Lande und wehren sich täglich. Die vier Girlies von "Meer is nich" gehen einen Schritt weiter und trommeln einfach mal was neues. Nun wäre die Singstimme dran, sprich die Literatur. Aber wahrscheinlich wird wieder der Film das Rennen machen, denn die Dichtung ist hoffnungslos desorientiert und zersplittert in Rest-Bürgerlichkeit, Popkram, postmoderne Plapperwerke und "relevanten Realismus".
06-apr-08
Langes Wochenende, heute ist Feiertag: "Tomb Sweeping Day", auch Qing Ming genannt, eine Art chinesischer Totensonntag mit extrem langer Tradition. Zum "Tag des Gräberfegens" versucht jeder, irgendwie zu Verwandten und Bekannten zu fahren, um dort die eigenen Ahnen hoch leben zu lassen. Den hier Gebliebenen bleibt nur das virtuelle Gräberfegen, z.B. auf www.netor.com oder www.hells-heaven.net Für mich bedeutete das bevorstehende lange Wochenende, den Unterricht in der letzten Stunde lockerer zu gestalten. Die Studenten hatten nach deutschen Filmen gefragt, aber mir fielen nur irgendwelche Hollywood-Schinken und Komiker-Schmonzetten ein. "Brothers Grimm" finde ich gut und "Schultze gets the blues". "Der Letze macht das Licht aus" fiel mir noch ein, aber auf der Internet-Seite des Films lies sich der Trailer nicht herunter laden. Verzweifeltes Googeln im Netz, gibt es ihn noch, den relevanten deutschen Film? Menschlich, erzählfreudig, bildgewaltig und auch wirklich in den Kinos? Verbohrte Stasi-Dramen und verfilmte Videospiele gibt es genügend, nur Qualität ist dünn gesäht. Schließlich habe ich doch noch zwei vorzeigbare deutsche Filme gefunden "Keinohrhasen" mit Til Schweiger und "Meer is nich". Alter amerikanischer Touristenspruch sagt: "In China you don’t learn about China, in China you learn about yourself."
26-mär-08
Spam-SMS: Seit ich ein chinesisches Mobiltelefon habe, darf ich mir immer wieder das nervige "Pling" ankommender SMS anhören, oftmals mitten in der Nacht. Heises Online-Dienst meint mit der "Focus Media Holding" den Schuldigen gefunden zu haben. Ich meine eher, es ist "China Mobile" selbst, das seine Kunden da so belästigt. Denn die Werbeflut begann wenige Tage nach der Anmeldung des "Handys". Geworben wird durchschnittlich viermal am Tag, meist für überteuerte Konsumentenkredite und nutzlose Versicherungen. Meine Nummer habe ich nur wenigen Lehrern und Studenten gegeben, dazu ein paar Leuten in Deutschland. Laut der Nachrichtenagentur Xinhua entschuldigte sich China Mobile für Schlupflöcher in der Betriebsführung. Sie hätten den Versand von Werbe-SMS an fast die Hälfte der chinesischen Mobilfunknutzer ermöglicht. Dafür scheinen chinesische Mailadressen weitgehend von Spam-Mails verschont zu bleiben, bei meiner neuen Mailadresse auf 163.com ist noch keine einzige Werbemail angekommen. Wo nichts zu holen ist...
21-mär-08
J-Pop-Fieber: In einer kleinen Ladenstraße wenige hundert Meter vom College entfernt wird gerade eine Kanalisation gebaut: Die Erde ist meterhoch aufgetürmt und Bauschutt liegt ziemlich wild herum. Doch die Läden haben alle geöffnet. Friseur-Salons werben hier mit lauter Popmusik, aus zwei Boxen dröhnt Ayus "Maria". In einem Plattenladen auf der Mall sehe ich später ein ganzes Regal Japanpop, im Preis etwa 20 Yuan pro Doppel-CD. Hitomi Shimanti, Hikaru Utada, Koda Kumi, Matsu Takako und eine Kompilation schleppe ich gleich davon. Alle in umweltschonenden Pressholz-Kästchen im edelen Design abwaschbarer Kantinentische. Im zweiten Plattenladen muß noch Ayumi Hamasakis neue Scheibe 'Guilty' mit. Im WalMart kann ich Mai Kuraki nicht widerstehen. Die Doppel-CDs sind Lizenzprodukte mit Hologramm, randvoll mit der Originalmusik des jeweiligen Künstlers. Dabei nimmt man es mit der Titelauswahl nicht so genau. So prangt auf dem Cover von Ayus 'Guilty' das bekannte Bild mit dem getigerten Kleid. Auf den Scheiben sind aber neben den 14 Songs vom Januar 2008 noch 17 ältere, ebenso schöne. Unterschätzt habe ich bisher Matsu Takako, in ihrer legeren Kleidung und mit dem großen Köter habe ich sie bisher für eine singende Schauspielerin gehalten. Doch ihre Balladen haben erkennbare Melodien, ihre Stimme ist ausdrucksvoll und vielfältig. Deshalb wohl ihre Beliebtheit hier, die Chinesen wissen, was gut ist. Jetzt muß ich mich mit Einkäufen sehr zurückhalten, um kein Fall für die Hotline "Deutsche in Not" zu werden.
19-mär-08
Gestern endete die Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses. Im Mammut-Parlament ging es hauptsächlich um Wirtschaftspolitik. Die offizielle Inflationsrate lag im Februar bei 8,7 %. Die Lebensmittelpreise stiegen durchschnittlich um 23,3 % gegenüber dem Vorjahr. Die Regierung will die Inflationsrate auf 4,8 % für das Jahr 2008 senken. Dem soll auch eine neue Struktur der Ministerien dienen, fünf sogenannte "Superministerien" sollen Lenkungsfunktionen bündeln. Allen ist klar, dass die chinesischen Arbeiter und Angestellten mehr als nur ein käftigen "Schluck aus der Lohnpulle" brauchen. Regelmäßige Lohnsteigerungen über der Inflationsrate sind dringend geboten. Doch Partei und Staat können nur mit Mindestlöhnen und Lohnerhöhungen in den Staatsbetrieben reagieren. Internationale Konzerne und der einheimische privat-korporatistische Sektor bräuchten starke Gewerkschaften, die regelmäßig mit harten Tarifforderungen auf der Matte stehen. Doch der chinesische Gewerkschaftsverband (ACGB) war bisher eher mit dem FDGB der DDR zu vergleichen. 60% der ausländischen Unternehmen weigern sich sogar, die staatsnahe Gewerkschaft überhaupt im eigenen Unternehmen agieren zu lassen. "Die chinesischen Gewerkschaften verstehen sich als Blumenvase von Partei und Regierung", ätzen West-Gewerkschaften wie die deutsche IG Metall. Wenigstens auf der Volkskongress-Tagung war der ACGB präsent. Funktionär Zhang Mingqim stellte eine Erhebung des ACGB vor, nach der 26 Prozent der chinesischen Arbeiter in den vergangenen fünf Jahren überhaupt keine Lohnerhöhung bekommen hätten. Es gibt viel zu tun ...
stulli - 25. Sep, 14:00