Sicherungskopie 6

5-nov-08

Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten. Mit Barack Obama hat ein community organizer aus Chicago die US-Wahlen gewonnen, ein ausgebildeter Sozialpädagoge, erfahren in der Arbeit mit Horden ignoranter und inkompetenter Fahnenschwenker an "sozialen Brennpunkten". Mit nationalistischen Eiferern, Konsumenten auf Pump und den ehrenamtlichen Evangelisten des unregulierten Marktes. Die haben für Obamas Wahlkampf gespendet und erwarten nun, dass ihr Sozialarbeiter doch bitte mal schnell den Scherbenhaufen seines Vorgängers zusammenkehrt. Gegen die Finanzkrise soll es ein massives Investitionsprogramm geben und ein paar Tropfen aus der großen Gießkanne werden wohl auch auf "grüne Jobs" fallen. Außenpolitisch wird die Regierung Obama zweifellos versuchen, das Imperium wieder zur globalen "Nummer Eins" zu machen. Der alte und neue Verteidigungsminister Robert Gates wird wohl den politischen Rückenwind nutzen und versuchen, die beiden vom Finanzkapital vom Zaun gebrochenen Kriege doch noch zu gewinnen. Sozialpolitische Wohltaten sind eher nicht zu erwarten, Millionen Billiglöhner haben weiterhin keine Aussicht auf eine Krankenversicherung, Arbeitslosigkeit bleibt persönliches Versagen, für das man sich gefälligst zu schämen hat. "The Change" ist kein Regime-Change und der "amerikanische Traum" bleibt ein Alptraum. Einziges Zeichen des Wandels ist die Hautfarbe des Präsidenten.

24-okt-08

"Immer konkreter werdende Signale für einen tiefen Wirtschaftsabschwung" hört heute die FTD Online. Ich höre Musik und Lautsprecher-Ansagen vom zweitägigen Sportfest des Colleges. Die Veranstaltungen sind eher locker organisiert, nur die Studenten dürfen jetzt tagsüber nicht das Campusgelände verlassen. Ich lasse mich kurz auf dem Sportplatz sehen und mit albernem Grinsen fotografieren, dann habe ich zwei Tage frei. Mit dem Linienbus fahre ich in die City und sehe, dass gerade östlich vom College mit dem Bau von zwei neuen Wohntürmen begonnen wird. Auch das Gründerzentrum daneben platzt aus allen Nähten und bekommt einen oder mehrere Anbauten. Am "World Trade Center" wird fleißig Beton gepumpt, die beiden markanten Türme haben wohl schon zehn Etagen erreicht. Wenn das Osama wüßte! Nur der Fernsehturm ist abgeschaltet, weil ringsum eine Shoppingmall und etliche Wohn-Hochhäuser errichtet werden. Der Turm soll die besondere Attraktion darin werden, im Prospekt sieht es aus wie das Vergnüngungsviertel aus 'Final Fantasy 7'. Keine Spur von Panikstimmung, nur das Warenangebot in den Kaufhäusern ist immer noch entweder völlig unattraktiv, sichtlich mangelhaft oder überteuert. Ich stehe nun mal nicht auf Plastikramsch, falsche Gucci-Täschchen oder echte Breitling-Uhren. So kaufe ich doch nur wieder vietnamesischen Instant-Kaffee, japanische Nudeln und chinesisches Insektenspray. Das Zeitungsangebot ist vielfältig und die Lokalblätter berichten über den neuesten Hunrun-Report, eine Liste superreicher Chinesen (www.hunrun.net). Ein Blatt vermeldet, dass der Oberbürgermeister leicht angesäuert sei, weil von den 1000 reichsten Chinesen nur 13 "Plutokraten" in Changzhou residieren. Die haben Probleme: "Die globale Kreditkrise und die Stärke des RMB machen Aquisitionen in Übersee für Chinas sehr liquide Tycoone leichter denn je", heißt es auf der Hunrun-Webseite. Ja klar, die Nationalbank pumpt die Geldblase für Banker, Superreiche und Spekulanten immer wieder auf, während die Kleinverdiener längst arbeitslos zu Hause sitzen. Warum sollte es hier anders sein?

10-okt-08

Aus der Finanzkrise wird gerade eine allgemeine weltweite Wirtschaftskrise: die westliche Finanzindustrie hatte ein gigantisches Schneeballsystem betrieben und riesige Mengen "fiktiven" Kapitals akkumuliert: Gewinnversprechen nach dem Kettenbrief-System, für die nun der Steuerzahler aufkommmen soll. Die Finanzblase mit ihrer Geldschwemme war seit den 80-er Jahren "sekundärer Treibsatz" der defizitären Realökonomien des Westens. Alles hing von der US-Konjunktur ab, die ihren fleißigen Konsum nur mit Kapitalimporten von 700 bis 800 Milliarden Dollar im Jahr ausgleichen konnte. Schulden, die das Imperium nur machen konnte, weil praktisch die ganze Welt für die USA sparte. Vor allem asiatische Investoren waren geradezu darauf fixiert, ihr Geld bei "Fannie und Freddie" in den USA anzulegen. Die "Konjunktur-Lokomotive" USA steht nun für die nächsten Jahre auf dem Abstellgleis. Eine neue ist nicht in Sicht. Überhaupt ist eine Abkehr von der Blasen-Ökonomie noch keineswegs ausgemacht. Die Finanzindustrie hatte sich weltweit eine ihr genehme Politik gekauft: Deregulierung der Märkte, Senkung der "Lohnnebenkosten", Sozialabbau, Billiglohnsektor und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse. Die Infrastruktur wurde privatisiert, der Staat wurde "schlank" und zur antisozialen Krisenverwaltung. Alle Lebensbereiche sind nun von dem virtuellen Kapital und seinem "Sponsoring" abhängig: Altersvorsorge, Gesundheit, Kunst, Kultur, Sport, öffentliche Verwaltung allgemein. Von "unten" wurde der Neoliberalismus bereitwillig aufgenommen, die Zwänge verinnerlicht. Individualisierung wurde zum Schlagwort für die bedingungslose Selbstauslieferung der "Ich-AG" an die Marktkräfte. Der Dienstleistungs-Sektor verschwindet nun allmählich, denn seine Billiglohn-Betriebe können nicht mehr genug Kapital für ihre Weiterexistenz akkumulieren. Die Verwertungsbasis des Kapitals in der Realwirtschaft ist extrem geschrumpft, die Krise ist längst von den Hütchenspielern des Bankensektors auf die Warenproduzenten übergesprungen. Mittelstand und Billiglöhner können das Ende der Finanzblasen-Ökonomie ebenso wenig aussitzen wie die Medienindustrie oder die "digitale Bohème", ganz zu schweigen von den Staatsfinanzen. Der Staat als einzig verbliebener Akteur wird rabiat gegen seine Bürger in Stellung gebracht - die Welt wird chinesischer.

06-okt-08

Ein Wochenende in Halles künftiger Partnerstadt Jiaxing und die Frage: Wie könnte das zusammenpassen, die boomende Dreieinhalb-Millionen-Metropole und das schrumpfende 200 000-er Städtchen? Die Altstädte sind von der Größe her vergleichbar, Alt-Jiaxing wird von einem Ringkanal umschlossen. Entlang der Nord-Süd- und Ost-West-Achsen Betonhochbauten, am Wasser sind an mehreren Stellen fast komplette Altstadtquartiere erhalten, bzw. restauriert. Man wirbt damit, das "Venedig des Ostens" zu sein. Eine mehrstöckige Mall und etliche herausgeputzte Ladenstraßen machen einem halb verlassenen Boulevard aus den 70-er Jahren Konkurrenz. Überall gibt es was zu essen und trinken, unzählige Gaststätten aller Größen, Stile und Preisklassen finden ihre Kunden. Außerhalb des Rings im Südosten ein See mit Pagode und Erholungslandschaft. Im Osten der Bahnhof, im Westen und Norden Busbahnhöfe, ein Haltepunkt der Magnetschwebebahn ist im Bau. Insgesamt eine angenehme Stadtstruktur, in der man sich innerhalb von zwei Tagen zurecht finden kann. Die Stadt ist viel zu schnell in die Fläche gewachsen und hat die Verwaltungsfunktionen für dreieinhalb Millionen Menschen an sich gezogen. Eine einsträngige Hierarchie nach dem Kommandoprinzip - nichts, was unsere Verwaltung unbedingt lernen sollte. Die Häfen brummen, auf dem Kaiserkanal drängen sich die Schiffe, ein 20 km entfernter Tiefseehafen schlägt Container in alle Welt um. Die Billig-Textilindustrie dominiert, dazu Haushaltgeräte-Buden, Elektronik-Schrauber und andere verlängerte Werkbänke von Weltkonzernen in riesigen Gewerbegebieten. Hochhaus-Siedlungen in den Außenbezirken, die wohl eher zur China-typischen Immobilienblase gehören. Richtig Turbo und Neo ist die Wirtschaft hier erst seit den 90-er Jahren und man tut sich schwer mit der heraufziehenden Wirtschaftskrise. Doch gerade auf dem Gebiet der Wirtschaft sehe ich Austausch-Möglichkeiten zwischen Jiaxing und Halle. Eine nun schon fast 20-jährige Krisenerfahrung sagt uns, dass die Welt nicht untergeht, auch wenn die neoliberale Bewußtseinsindustrie Menschen und Dynamiken ausdauernd schlecht redet. Der chinesische Zentralstaat wird seine Binnenkonjunktur mit Klauen und Zähnen verteidigen. In Hinsicht auf Materialqualität, Funktionalität und Design gibt es riesige Reserven - die Deutsche sofort sehen, verbessern und in neue Produkte "gießen" können. Die Chinesen sitzen auf großen Spareinlagen und würden für Qualität auch angemessene Preise zahlen. Designer, überhaupt Kreative, hätten hier zwar das Problem des nicht funktionierenden Urheberrechts, aber wenn die Verbindung zur Produktion eng genug ist, "frisst" der schnelle Kreative den langsamen Kopierer...
(Fotos auf http://picasaweb.google.de/djdarmtm/jiaxing)

29-sep-08

In der FEER 08/2008 beschäftigt sich David Bandurski mit dem Qualitätsverlust, den das Agieren der "Fifty Cent Party" für die kommunistische Theoriebildung bedeutet. Einst war die Ideologieproduktion wichtigster und angesehenster Teil sozialistisch / kommunistischer Parteiarbeit. Marx brütete Jahrzehnte in der British Library. Wenn bei Lenin im Kreml nachts noch Licht brannte, ging es mindestens um die Weltrevolution. Auch als Mao auf dem langen Marsch mit den Gefährten diskutierte, war ein gewisses Mindestniveau gesichert. Heute hingegen hat die KP ihre tägliche Ideologieproduktion "ausgelagert", an ehrgeizige Laien abgegeben. Zwischen Ballerspiel und Video-Saugen maßregeln jugendliche Smarties nebenbei ernsthafte politische Diskussionen. Platte Desinformation, pauschales Abwiegeln, persönliche Anmache und nationalistische Sprüche sind an die Stelle des Studiums der Klassiker und der behutsamen Weiterentwickling progressiver Ideen getreten. Das meint auch Li Yonggang von der Universität HongKong: “Historisch gesehen lag die größte Stärke der KP Chinas in ihrer ideologischen Arbeit unter den Massen. Nun aber hat der Begriff der 'ideologischen Arbeit’ seinen Glanz verloren. Der Fakt, dass die Führung Leute anheuern muss und zusätzlich Geld zur Verfügung stellt, um ihren Einfluss im Markt der Möglichkeiten zu behaupten, ist weniger ein Zeichen für engere Kontrolle durch die Partei, eher eines für ihre schwindende Kompetenz.”

28-sep-08

Vom 26.8. bis 3.9.1978 nahm der Genosse Fliegerkosmonaut Siegmund Jähn an Bord der Sojus 31 an einem Raumflug zur Station Salut 6/Sojus 29 teil. Der Propaganda-Rummel in den DDR-Medien war ungeheuer. Daran fühlte ich mich heute erinnert, als dutzende chinesische Fernsehkanäle den ersten chinesischen "Spacewalker" rühmten. Irgendwie ist es ein Dejà-vu um 30 Jahre zurück. 1978 war das Jahr, als in der DDR der Wehrkunde-Unterricht eingeführt wurde. Die Honeckerei steckte in einer Legitimationskrise und wurde nur noch als Misere wahrgenommen. Sogar das Ost- Sandmännchen musste Panzer fahren, denn es waren Großmanöver des Warschauer Pakts angesagt. Und im Westen herrschte die "Stahlkrise"...

25-sep-08

Die Ausländer-Bespaßung der Shanghaier Stadtverwaltung hatte nach Chongming eingeladen, einem Schwemmland-Areal im Yangtse-Delta. Mit 1267 km² ist Chongming Chinas drittgrößte Insel, nach Taiwan und Hainan. Die Insel hat zwei Seehäfen, Baxiao und Xinjian. Im Bau sind Tunnel und Brücken zum Festland, bisher können die 700 000 Inselbewohner das Festland nur mit Fähren erreichen. Administrativ gehört Chongming zu Shanghai und die Stadtregierung plant die Ansiedlung von Schiffbau und Lebensmittelindustie, dazu „Öko-Touristik“ und einige Vorzeigeprojekte nachhaltigen Bauens und Wohnens. Begleitet von schauderhaftem Greenwash-Geschwätz werden Niedrig-Energiehäuser in die Landschaft geklotzt, für die Betonbauten der Deng-Ära weichen müssen. Öko-Reis wird angebaut, Besucher können Kraniche und Zugvögel beobachten oder beim großflächigen Landschaftsbau zusehen. Ältestes Projekt ist das 1999 ausgewiesene Vogelschutzgebiet Dongtan im Osten der Insel. Jedes Jahr kommen mehr als eine Million Zugvögel aus Sibirien, Ostasien, Südost-Asien und Australien hierher. Über 130 geschützte Arten wurden schon beobachtet. Es gibt drei Schutzzonen: 240 km² Totelreservat, eine Pufferzone und die Touristikzone. Die Verwaltung hat einen kitschigen Findling aufgestellt, vor dem man sich fotografieren lassen kann, aber nicht muss. Im drei Quadratkilometer großen Xisha-Nationalpark fallen die unzähligen Krabben auf. Es gibt Bohlenwege durch das Schilf zum Yangtse, einen neun Meter hohen Holzturm und eine Ausstellungshalle. Man kann bei Sonnenaufgang Heißluftballon fahren, über Wippen und Gerüste klettern oder Picknick halten. Die Flutkatastrophe von 1969 formte das Ökodorf Qianwei nördlich der Inselmitte. Auf 244 Hektar leben 753 Menschen, die schon von so ziemlich allen Parteigrößen besucht wurden. Das Programm “Travel to a Farmhouse” ist so etwas wie “Urlaub auf dem Bauernhof” in 43 Ferien-Gästehäusern, mit Kräuter-Wellness und vogelkundlichen Lehrwanderungen. Der Perlsee grenzt an die Stadt Huazhen im Westen von Chongming. Eingebettet in 667 Hektar Orangenhain ist er der größte See der Insel und bis zu acht Meter tief. Auffällig ist die brutale Uferbefestigung aus Porpyr-Bruchsteinen und Beton. Gaos Villa (Gao Jia Zhuang Yuan) ist ein weiterer ummauerter See mit Naturlehrpfad, Vogelschutz-Ausstellung, Anglerheim, Weingarten, Bonsai-Sammlung, japanischem Pavillon und zwei Tennisplätzen, insgesamt etwa 67 Hektar. Der Nationalpark Dongping Forest befindet sich im nördlichen Inselinneren und nimmt etwa 358 Hektar ein. Es gibt Ziergärten, Nutzgärten, Touristik-Center, Yachthafen, Streichelzoo, freilaufende Pferde, Scooter-Rennstrecke, Kletterwände, Angelplätze, Picknickplatz, Beach-Volleyball-Platz, Schwimmbecken, dazu Unterkünfte und Gaststätten. Erwähnenswert ist noch das Fischerdorf Yingdong im Osten der Insel an einem eingedeichten Areal. 52 Familien betreiben hier Teichwirtschaft, Obstbau, Hofläden, Gastronomie und eine Ausstellung über das ländliche Leben in den 1950er und 1960er Jahren. Prägend für Chongming sind jedoch längst die Städte, die aussehen wie überall im östlichen China. Und mit der globalen Erwärmung wird der Siedlungsdruck auf die Insel noch weiter zunehmen. Während der Meeresspiegel steigt und Teile von Shanghai unter Wasser setzen wird, wird im Yangtse-Delta immer noch Schwemmland aus den mittleren und westlichen Provinzen Chinas abgelagert. Es gehört wenig Phantasie dazu vorher zu sagen, dass sich Shanghai in Richtung Nordosten ausdehnen wird, während man am Huangpu langsam nasse Füße bekommt...

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Stanislaw Ossowski
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Jiang Rong
Der Zorn der Wölfe


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