K. L. A. v. Münchhausen an J. G. Seume

Was treibt den Mann von Geisteskraft und Gaben
Dass er, gleich einem wilden raschen Knaben
Zu fremdem Heerde taumelnd eilt?

Wer drängt dich aus der Weisheit stillen Klause?
Wer jagt dich mit der Unruh Sturmgebrause
Wie Kain über Meer und Land?
Sprich: treibt bey dem Geräusch zerrißner Fahnen
Von dem Huronenland bis zu den Kamschatanen
Dich Weisheit oder Gottes Hand?

Ich kenne dich, seit längst verfloß’nen Jahren,
Da du mit mir die Fingalskluft umfahren;

Selbst deine Lieblingsträumerey,
Von Karavanen und von Pilgerreisen,
Von fremden Völkern und von Weltumkreisen
Und was wohl unterm Pole sey.

Ich kenne dich in deiner Freunde Kreise;
Ich kenne dich in deiner selt’nen Weise
In der du Menschenprüfer bist.
Ich kenne den Verwüster deines Glückes
Und weiß den Urquell deines finstern Blickes
Und – was dir Heilungsbalsam ist.

Ein Amt, der leeren Stunden Raum zu füllen;
Ein Weib, aus Fluren geßnerscher Idyllen,
Dazu ein frohes Tuskulum,
Das formte dich von Karmels ewigem Hebräer
Zum besten freundlichsten Epikuräer,
Zu Wandsbecks heiterm Asmus um.

Und sollte denn von allen diesen Gaben
Mein teutsches Vaterland nicht eine haben,
Daß du in seinen Grenzen bliebst?

Die Schuld ist dein; du willst in unsern Gauen
Dir keinen Kohl zum kleinen Mahle bauen,
Weil du das Sonderbare liebst.

Beklagenswürdig Freund, sind die Tymone
Bey jedem Volk und unter jeder Zone;
Bey ihnen wohnt die Freude nie.
Sie sind vor jedem Menschenantlitz bange;
Sind ew’ger Mißlaut in dem Sphärenklange
Von unsers Schöpfers Harmonie.

Hier wäge: Vater seyn von frommen Kindern,
Ein Tröster, der bedrängten Gram zu lindern;
Ein Freund der ächten Menschenpflicht:
Und nun, ein Mann von finsteren Gesichtern
Der, gleich den alten grauen Höllenrichtern
Den Menschen nur ihr Urtheil spricht!

Laß uns mit Ruh und unverbundnen Augen
Nicht Gift, nur Honig aus den Blumen saugen
Die unsers Schöpfers Garten zeugt.
Man muß nicht einer ganzen Flur mißtrauen,
Wenn hier und dort in seegensreichen Auen
Durch Blumen eine Schlange schleicht.

O Sohn des Unmuths komm in meine Arme!
Dein Busenfreund giebt Lindrung deinem Harme,
Der dir am wunden Herzen frißt.
O, starre nicht mit schaurigem Gefühle
Voll Schwermuth in der Elster Wellenspiele,
Wo, wie du wähnst, kein Glück dich küßt.

Die Ruh ist Glück und Balsam unsers Lebens;
Der größte Weise suchet sie vergebens
Bis er sein Sanssouci bezieht.
Denn sieh! was schuf in jenen Schneegefilden
Die edle Größe unsers wackern Wilden?
Die Ruh, die seine Stirn verrieth.

Wohlan! wenn du die Forscherbahn geendet
Und deinen Sarazenenzug vollendet,
Dann kehre heim ins Vaterland,
Und knüpfe, vor Beginn der grauen Haare,
Zu deinem Glück, an Gottes Weihaltare
Ein süßes ewigliches Band.

Sey dann mein Nachbar in dem Weserthale
Und trink mit mir aus einer Muschelschale
Und iß mit mir von einem Brod.
Dann wird der Schatten eines Baums uns decken,
Und ein Gesang der Nachtigall uns wecken,
Im goldgestreiften Morgenroth.

Denn schleichst mit Geßnern du zum Schäferpfürche
Und fährst mit Goeking in die Harzgebürge,
Mit Klopstok auf der Sternenbahn;
Mit Schillern tönest du das Lied der Freude,
Und wallst in grauer Helden Nebelkleide
Umher mit Vater Ossian.

Und ziehn wir nun, umhallt vom lauten Hifte
Des Jagdhorns, durch die grauen Felsenklüfte
Mit dem bereiften Doggenschwarm;
So werden wir in unsrer stillen Klause,
Des Abends, bey dem kleinen Wildprettschmause
Im Kreis der Freundschaft wieder warm.

Doch, wirst du einst, in meiner Väter Gründen,
Dein harrend, deinen Freund nicht wieder finden;
So ist vollbracht sein kleiner Lauf:
Dann suche deines Busenfreundes Hügel
Und richte mir, als unsers Bundes Siegel,
Den nächsten Stein zum Denkmal auf.

Münchhausen.

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